Selma, Berthe und Gundl Steinmetz
Sonja Frank
Sonja Frank
Zeitgeschichte

Die vielen „Schwestern“ der Sophie Scholl

Am 9. Mai jährt sich der Geburtstag der deutschen Studentin und Widerstandskämpferin Sophie Scholl zum 100. Mal. Ihr Kampf gegen das Hitler-Regime hat sie zur Ikone gemacht. Doch sie hatte viele „Schwestern im Geiste“ – mehrere tausend unbekannte Frauen riskierten ihr Leben im Widerstand.

Die drei Schwestern Gundl, Selma und Berthe Steinmetz aus einer assimilierten jüdischen Wiener Familie erlebten früh den Antisemitismus in Wien und verließen den autoritär regierten „Ständestaat“ Österreich, um im Exil in den Widerstand zu gehen und aktiv gegen die Nazis zu kämpfen. Gundl Herrnstadt-Steinmetz kämpfte zuerst im Spanischen Bürgerkrieg gegen Franco und später, wie die älteren Schwestern Selma Steinmetz und Berthe Tardos in der Resistance. Die Künstlerin Sonja Frank hat ein Buch über das Leben der drei „widerständigen“ Frauen geschrieben. – im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands gibt es ab Ende Mai eine Sonderausstellung.

Sendungshinweis

Universum History „Furchtlos – Frauen gegen Hitler“ heute Abend um 22 Uhr 35, ORF 2. Im Anschluss zu sehen: der preisgekrönte Spielfilm „Sophie Scholl – Die letzten Tage“.

Selma Steinmetz (1907-1979), war ebenso wie ihr Lebensgefährte, der KPÖ-Funktionär Oskar Grossmann (1903-1944), im französischen Exil im Widerstand aktiv. Beide wurden 1944 mit weiteren österreichischen KommunistInnen festgenommen und im Zuge der Gestapoverhöre schwer misshandelt; Grossmann überlebte die Folterungen nicht.

Selma Steinmetz (1907-1979) und ihr Lebensgefährte Oskar Grossmann
Sonja Frank
Oskar Grossmann, Selma Steinmetz

Selma Steinmetz entrann nur knapp dem Tod und wurde zur ersten Bibliothekarin des DÖW und blieb Zeit ihres Lebens kritisch, sozial und widerständig.

Dem Weiblichen Widerstand einen Namen geben

Doch nicht nur im Exil, auch in Österreich haben Frauen eine maßgebliche Rolle im Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur gespielt. Neben den bekannten Widerstandskämpferinnen wie Rosa Jochmann oder Irma Schwager haben tausende anonyme Frauen ihr Leben riskiert, indem sie Verfolgten Unterschlupf gewährten, jüdische Mitmenschen versteckt oder Flugzettel verteilt haben.

Universum History „Furchtlos – Frauen gegen Hitler“

Ein Forschungsprojekt des Zukunftsfonds der Republik Österreich mit der Stadt Wien ist den Spuren dieser vergessenen oder bislang undokumentierten Schicksale nachgegangen. „Wir wollten damit dem weiblichen Widerstand einen Namen geben“, sagt Projektmitarbeiterin Ilse Korotin von der Dokumentationsstelle Frauenforschung am IWK, des Instituts für Wissenschaft und Kunst.

3.600 Biografien enthält die Datenbank, akribisch gesammelt aus verschiedensten Quellen, in Gestapoakten und Verhören, aus publizierten Schriften, Kirchenakten und anderen Quellen. Die Geschichte einiger Widerstandskämpferinnen kann man auch auf der Webseite über ÖsterreicherInnen im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück nachspüren.

Meine Mama war Widerstandskämpferin

Jahrzehntelang wurde der Widerstand zumeist männlich gedacht. Bis auf wenige Ikonen wie Sophie Scholl gibt es eine „Wahrnehmungsverzerrung im öffentlichen Bewusstsein und auch in der Forschung, was die Leistungen des weiblichen Widerstands anbelangt“, sagt Helga Amesberger, Politikwissenschafterin am Institut für Konfliktforschung.

Buchcover von „Meine Mama war Widerstandskämpferin“
Helga Amesberger

Obwohl die geringste Kritik, das Verteilen von Flugzetteln, das Verstecken von Menschen schon schwerste Bestrafungen – von Kerker bis KZ und Todesstrafe – bedeuten konnte, wurde weiblicher Widerstand lange nicht gewürdigt, minder bewertet und aus der Forschung ausgeklammert.

„Frauen haben tausendfach ihr Leben riskiert, sie waren an Sabotageaktionen beteiligt, haben Materialien für Sprengsätze beschafft, Papier für Flugzettel besorgt, Verfolgte versteckt“, so Amesberger. Und zwar aus allen gesellschaftlichen Schichten. Kommunistinnen und Sozialistinnen, Frauen aus dem bürgerlich-katholischen Lager, Protestantinnen, Zeuginnen Jehovas, Unpolitische, Monarchistinnen, Arbeiterinnen, Adelige. Amesberger ist Mitautorin einer Studie, die auch als Buch veröffentlicht wurde. „Meine Mama war Widerstandskämpferin – Netzwerke des Widerstands und dessen Bedeutung für die nächste Generation.“

Dafür wurden Widerstandskämpferinnen – hauptsächlich Kommunistinnen – die im KZ Ravensbrück inhaftiert waren, interviewt bzw. ihre Töchter und Söhne. Die Arbeit hatte zwei Ziele: erstens die Widerstandstätigkeiten von Frauen zu dokumentieren und zu würdigen – also eine Lücke zu schließen, eine gesellschaftliche und auch wissenschaftliche. Und zweitens der Frage nachzugehen, wie die Frauen mit ihrer Verfolgungs- und Widerstandsgeschichte umgegangen sind nach 1945. Was hatte das für Konsequenzen für die Frauen selbst, körperlich und psychisch? Haben sie darüber gesprochen, welche Folgen ihr Schicksal hatte für die nachkommende Generation?

Menschenpflicht – Ich habe nichts Großartiges getan

Ein Phänomen, von dem alle Forscherinnen berichten, ist, dass sich die meisten Frauen gar nicht als Widerstandskämpferinnen gesehen oder erlebt haben. Obwohl sie mitunter täglich ihr Leben riskierten, haben sie selbst ihr Handeln aus ihrem sozialen und humanitären Verständnis heraus als selbstverständlich empfunden – als ihre Menschenpflicht. Die Risiken, denen sich Frauen ausgesetzt haben, waren größer als jene der Männer – denn sie waren ja auch sorgepflichtig ihren Kindern gegenüber. „Das haben wir sehr oft von den Kindern in den Interviews gehört, dass sie ihren Müttern vorwerfen, sie in Gefahr gebracht zu haben. Das führte in den Jahren nach dem Krieg zu Konflikten“, sagt Helga Amesberger. Die Frauen argumentierten, dass ihre Kinder nicht in so einem Schreckensregime aufwachsen lassen wollten.

Trauma, Schweigen und Anerkennung

Alle Frauen, die vom Team Amesbergers interviewt wurden, wiesen lebenslange Traumatisierungen auf. Die Frauen trugen durch die Erlebnisse in Haft und KZ, durch die Verfolgung oder auch Folter schwere psychische und körperliche Schäden davon. Manche starben kurz nach dem Krieg an den Langzeitfolgen. Die Frauen gingen sehr unterschiedlich damit um, manche sprachen offen im Familienverband über ihre Erfahrungen, andere zogen sich ins Schweigen zurück. Was die wenigsten konnten, war, über ihre Erlebnisse im KZ zu sprechen. Das mussten sich die Kinder erst im Erwachsenenalter aktiv erfragen. Viele waren mit gesellschaftlicher Geringschätzung ihrer Leistungen und ihres Schicksals konfrontiert. „Wenn du aus dem KZ zurückgekommen bist, wird es nicht so schlimm gewesen sein“, oder „wir haben auch unter Hunger und Bombenhagel gelitten“, das hörten viele Frauen, so Amesberger.

Selma Steinmetz erhält 1968 das Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.
Sonja Frank
Nur wenige erfuhren Anerkennung: Selma Steinmetz erhält 1968 das Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.

„Die meisten Frauen erfuhren aber die bittere Enttäuschung, dass die Republik das Know-How, die Erfahrungen und Fähigkeiten als nicht wichtig für den Aufbau der Demokratie erachteten, für die sie ihr Leben riskiert hatten.“sagt Helga Amesberger.

Falsches Spiel der Republik

Die Haltung der Republik Österreich sei doppelzüngig gewesen, „double speak“ nennt es die Zeithistorikerin Heidemarie Uhl.

Charakteristikum dieser spezifisch österreichischen Geschichtspolitik war, sich nach außen hin als erstes Opfer Hitlers und – mit Hinweis auf den österreichischen Widerstand – als antinazistischer Staat dazustellen. In Österreich selbst wurde die Erinnerung an den Widerstand, vor allem aber an die Verbrechen des NS-Regimes, marginalisiert und der Widerstand als „kommunistisch“ diffamiert. Laut Moskauer Deklaration 1943 forderten die Alliierten von Österreich nämlich den Beweis, dass es aktiven, politischen Widerstand gegen Hitler gegeben hat. So wurden nach außen hin alle WiderstandskämpferInnen hochgejubelt, nach innen hin verwehrte man sogar Menschen, die jahrelang im KZ waren oder gefoltert wurden, Entschädigungen mit restriktiven Opferfürsorgegesetzen. Täter galten hingegen schnell als „minderbelastet“ und wurden rehabilitiert.

Widerstand als Erbe – die Kinder der Kämpferinnen

Das Erbe, das die Widerstandskämpferinnen an ihre Kinder in die nächste Generation weitergegeben haben, ist eigentlich einhellig. Alle für die Studie interviewten Kinder charakterisierten sich selbst als Menschen mit besonderem Gerechtigkeitssinn. Das Hinterfragen von Benachteiligung, sozialer Ungleichheit sei ihnen eingeimpft worden. Die Erlebnisse und das Schicksal ihrer Mütter habe ihre persönliche Entwicklung und ihr politisches Bewusstsein stark beeinflusst.

Gundl Steinmetz-Herrnstadt bei Schießübungen
Sonja Frank
Gundl Steinmetz-Herrnstadt, die gemeinsam mit ihrem Mann Paul in der Resistance kämpfte.

Gundl Steinmetz Herrnstadt war mit ihrem Mann Paul im belgischen Widerstand aktiv. Beide waren überzeugte Kommunisten. Gundl Steinmetz Herrnstadt wurde im Zuge ihrer politischen Agitation in Belgien angeschossen. Im Gefängniskrankenhaus wurde die Schwerverletzte immer wieder verhört – doch niemand hat jemand anderen aus dem Widerstand verraten, niemand hat „gespieben“ – wie es Gundl Steinmetz-Herrnstadt später beschrieb. Auch nach dem Krieg pflegte man einen kommunistischen Freundeskreis, in dem ihr Sohn Georg „Schurli“ Herrnstadt, Gründungsmitglied der legendären österreichischen Protestsonggruppe „Die Schmetterlinge“, aufwuchs.

Georg „Schurli“ Herrnstadt auf der Bühne miot der Band „Die Schmetterlinge“
Georg Herrnstadt
Schurli Georg Herrnstadt mit den Schmetterlingen in den 70-er Jahren in der Wiener Arena

1968 haben Georgs Eltern nochmals ihre Kompromisslosigkeit unter Beweis gestellt. Sie traten aus der KPÖ aus, weil sie mit den faschistoiden Zuständen im kommunistischen Osten nichts zu tun haben wollten.

„Meine Eltern waren beide im politischen Widerstand aktiv“, sagt der Musiker, Autor, Regisseur und Freigeist heute. Und resümiert: "Was lernt man in so einem Elternhaus? Gegen den Strom schwimmen. Nicht mit dem Mainstream mitwackeln, selbständig denken, alles in Frage stellen, auch sich selbst. Skeptisch sein gegenüber dem aufgetischten Glaubhaften.“