Eine Ärztin zieht eine Coronavirus-Impfung auf
AFP – JACK GUEZ
AFP – JACK GUEZ
Coronavirus

Virale Studie zu Impfrisiko sorgt für Aufregung

Eine Wissenschaftsartikel sorgt aktuell im Internet für Aufregung und geht in impfkritischen Kreisen viral. Ihm zufolge übertreffe der Nutzen einer Coronavirus-Impfung kaum ihr Risiko. Der Artikel ist aber höchst umstritten – auch in der Zeitschrift, die ihn veröffentlicht hat.

„Für drei durch die Impfung verhinderte Todesfälle müssen wir zwei durch die Impfung verursachte Todesfälle in Kauf nehmen“, heißt es in dem Online-Artikel. Er ist in der Zeitschrift „Vaccines“ erschienen, die zur Open-Access-Plattform MDPI gehört – einem schon in der Vergangenheit oft kritisierten Publisher. Bisher (Stand: 6. Juli) wurde der Artikel 425.000 Mal aufgerufen.

Journal zieht Artikel zurück

Wegen des Impfartikels sind bereits mehrere renommierte Forscherinnen und Forscher von ihren Funktionen bei der Zeitschrift zurückgetreten – darunter auch der österreichische Mikrobiologe und Impfexperte Florian Krammer von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai.

Nach umfangreicher Kritik hat mittlerweile auch MDPI den Artikel aufgrund „schwerwiegender Bedenken“ zurückgezogen. Er enthalte mehrere Fehler, die die Interpretation der Ergebnisse grundlegend beeinflussen würde. Unter anderem hätten die Autoren Verdachtsfälle von Impfnebenwirkungen als mit der Coronavirus-Impfung kausal in Zusammenhang stehend betrachtet, was falsch ist.

Kein Impfexperte unter den Autoren

Am 24. Juni hatten drei Autoren den Artikel “The Safety of COVID-19 Vaccinations—We Should Rethink the Policy" veröffentlicht – keiner von ihnen Virologe oder Impfexperte: Erstautor Harald Walach ist ein deutscher Psychologe und arbeitete als Direktor eines mittlerweile geschlossenen Instituts an der Frankfurter Europa-Universität Viadrina. Bereits in seiner Tätigkeit in Frankfurt wurde Walach laut „Berliner Zeitung“ aufgrund pseudowissenschaftlicher Ansätze kritisiert. Neben Walach ist auch noch ein Physiker von der Radioonkologie des Leopoldina Krankenhauses in Schweinfurt als Mitautor genannt sowie ein Datenwissenschaftler, der keinem wissenschaftlichen Institut zugeordnet wird.

Verwendete Zahl für Impftote nicht belastbar

Inhaltlich betrifft die Kritik vor allem die verwendete Zahl vermeintlicher Impftoter. Die Studienautoren greifen dabei auf die Datenbank der European Medicines Agency (EMA) zurück, bei der Nebenwirkungen nach Impfungen dokumentiert werden können. Allerdings stehen die dort festgehaltenen Todesfälle nur in zeitlicher Nähe zu einer Coronavirus-Impfung und keinesfalls automatisch in einem kausalen Zusammenhang.

Dass die EMA-Datenbank nicht unbedingt belastbar ist, merken die Studienautoren sogar selbst, da sie darauf eingehen, dass es in verschiedenen Ländern zu einer unterschiedlichen Rate an gemeldeten Nebenwirkungen kommt. Daraufhin schränken sie sich auf die Daten aus den Niederlanden ein, wo die meisten Nebenwirkungen gemeldet wurden. In der Studie wird dies als der „gründlichste“ Datensatz bezeichnet. Dadurch kommen sie auf vier Todesfälle pro 100.000 Einwohnern.

Fehlschlüsse am Beispiel Österreich

Für Österreich würde das bedeuten, dass bisher etwa 300 Menschen an Impfungen gestorben seien. Laut dem aktuellsten Bericht des Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) wurden in Österreich aber bis Mitte Juni überhaupt nur 132 Todesfälle in zeitlicher Nähe zu einer Impfung gemeldet.

Bei vier davon konnte ein Zusammenhang mit der Impfung ausgeschlossen werden, bei 34 weiteren bestanden vermutlich todesursächliche Nebenerkrankungen, bei 20 Personen fiel die Impfung in die Inkubationszeit einer Covid-Erkrankung, in deren Rahmen sie verstarben. Bei 14 Personen blieb die Schutzwirkung aus. 59 Fälle werden noch überprüft, ein Zusammenhang mit der Impfung wird derzeit nur bei einem Todesfall gesehen.

Studie mit begrenztem Zeitraum und nur einer Impfdosis

Die Autoren versuchen auch einen Wert auszurechnen, wie viele Impfungen nötig sind, um einen Coronavirus-Todesfall zu verhindern. Dazu beziehen sie sich auf eine israelische Impfstudie, die der Coronavirus-Impfung eine hohe Effektivität bescheinigte. Daten zur Verhinderung von Todesfällen finden sich dort allerdings nur für Personen mit einer Impfung.

Außerdem umfasste die Studie nur rund 40 Tage, die volle Schutzwirkung der zweiten Impfung kann mit diesem Datensatz daher gar nicht eruiert werden. Somit ist die Schlussfolgerung der umstrittenen Publikation, dass die Impfpolitik aufgrund dieser Publikation neu überdacht werden müsse, sehr fragwürdig.