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AFP/CHRISTOF STACHE
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Charakter

Menschen wuchsen an erster Pandemiewelle

Der Charakter eines Menschen kann sich ändern, vor allem durch einschneidende Lebensumstände. Das bestätigt eine aktuelle Schweizer Studie, wonach die erste Pandemiewelle im Frühjahr 2020 viele Menschen tatsächlich charakterlich stärker gemacht hat.

Lange Zeit nahm die Fachwelt an, dass sich die Persönlichkeit eines Menschen ab rund 30 Jahren kaum mehr verändert. Nach und nach wird aber klarer, dass insbesondere einschneidende Lebensereignisse wie Krankheit oder traumatische Erlebnisse die Persönlichkeit verändern können – wie das offensichtlich bei der CoV-Pandemie der Fall war, wie Fabian Gander von der Uni Basel und Lisa Wagner von der Uni Zürich im Fachmagazin „European Journal of Personality“ berichten. Ihre Erkenntnisse gewannen sie aus einer Online-Umfrage mit 266 Studienteilnehmenden, beruhend auf deren Selbsteinschätzung.

Die Psychologie kennt 24 Charakterstärken. Das sind positive Persönlichkeitsmerkmale, wozu beispielsweise Ehrlichkeit, Freundlichkeit und Dankbarkeit zählen. Die Probanden gaben mehrheitlich an, dass sowohl sie selbst als auch ihr nächstes Umfeld während des teilweisen Lockdowns charakterlich gewachsen sei. „Insgesamt konnten die Menschen zumindest der ersten Phase der Pandemie auch etwas Positives abgewinnen“, sagte die Zürcher Psychologin Wagner im Gespräch. Nur: Messbar war dieser Effekt lediglich bei zwei Charakterstärken.

Bescheidener und umsichtiger

Die Forschenden interessierten sich nämlich nicht nur für die wahrgenommenen, sondern auch für die tatsächlichen Veränderungen. Als hilfreich erwies sich eine Umfrage, die das Team bis zu eineinhalb Jahren vor der Covid-19-Krise durchgeführt hatte. Dieselben Personen wurden im Sommer 2020 gebeten, den Fragebogen, der die Charakterstärken erfasste, nochmals auszufüllen.

Resultat: Bescheidenheit und Umsicht hatten tatsächlich zugenommen, bei den anderen Charakterstärken ließ sich keine Änderung feststellen. „Es scheint, dass die Menschen zumindest der ersten Phase der Pandemie etwas Positives abgewinnen wollten“, so Wagner, „und das Ausmaß der positiven Veränderungen dabei überschätzten.“

Es gebe zwar keine Daten aus einer späteren Phase der Pandemie. „Aber ich gehe davon aus, dass dieses subjektiv wahrgenommene, positive Charakterbild erblasst ist.“ Die plötzliche Veränderung und Herausforderung zu Beginn sei in eine lang anhaltende Gesundheitskrise übergegangen, was eine gewisse Corona-Müdigkeit und dementsprechend eher das Negative in den Vordergrund rückt.

Trotzdem denkt die Psychologin, dass die zwei im Vorher-Nachher-Vergleich erfassten Veränderungen – Bescheidenheit und Umsicht – sich in der Persönlichkeit der Menschen verankert haben könnten.