Svante Pääbo und ein Skelett
APA/dpa/Hendrik Schmidt
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Medizinnobelpreis für Evolutionsforscher Svante Pääbo

Der Nobelpreis für Medizin geht in diesem Jahr an den in Leipzig forschenden Schweden Svante Pääbo für seine Entdeckungen zur menschlichen Evolution und zu den Vorfahren des Menschen. Das gab das Nobelpreiskomitee am Montag in Stockholm bekannt. Unter anderem fand Pääbo heraus, wie Gene des Neandertalers die menschliche Gesundheit bis heute beeinflussen.

Wo sind die Wurzeln des Menschen? Worin unterscheidet sich der Homo sapiens von anderen Frühmenschen? Warum hat er überlebt? Solche großen Fragen stehen seit vielen Jahren im Zentrum der Forschung von Svante Pääbo. Dabei hat er einige sensationelle Entdeckungen gemacht.

Unter anderem gelang es dem heute 67-Jährigen, das Genom des Neandertalers zu sequenzieren. DNA ist ein recht instabiles Molekül und zerfällt im Laufe der Zeit in immer kleinere Bruchstücke. Dennoch schaffte es Pääbo, Erbgut des Neandertalers aus alten Knochenfragmenten zu isolieren und zu analysieren. 2010 stellte er eine erste Version des Neandertaler-Genoms vor.

In der Folge stellte er fest, dass Spuren dieser ausgestorbenen Menschenart auch im menschlichen Genom zu finden sind. Die Gene der Frühmenschen beeinflussen das menschliche Leben bis heute, z. B. wie das Immunsystem auf Infektionen reagiert. Bei heute lebenden Personen aus Europa oder Asien stammen noch etwa ein bis zwei Prozent des Genoms vom Neandertaler.

Neue Menschenart

Der am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig tätige Pääbo machte außerdem die Entdeckung eines zuvor unbekannten Frühmenschen: 2008 war ein kleines, 40.000 Jahre altes Fingerknochenfragment in der Denisova-Höhle in Sibirien gefunden worden. Untersuchungen zeigten, dass sich die DNA-Sequenz dieses Menschen von der des Neandertalers und der des modernen Menschen unterschied. Auch Spuren vom Erbgut des Denisova-Menschen finden sich im Erbgut des modernen Menschen.

Vordenker der Paläogenetik

Im Zuge seiner Arbeit rief Pääbo eine völlig neue Disziplin ins Leben: die Paläogenetik. Sie befasst sich mit der Analyse genetischer Proben aus Fossilien und prähistorischen Funden. Durch die Enthüllung „der genetischen Unterschiede“ zwischen heute lebenden Menschen und ausgestorbenen Vorfahren „haben seine Entdeckungen die Grundlage für die Erforschung dessen geschaffen, was uns Menschen so einzigartig macht“, erklärte die Nobelpreis-Jury.

Pääbo erfuhr in Leipzig von seiner prestigeträchtigen Auszeichnung. Er sei am Telefon „überwältigt, sprachlos und sehr froh“ gewesen, berichtete der Sekretär der Nobelversammlung des Stockholmer Karolinska-Instituts, Thomas Perlman. Pääbo habe gefragt, ob er jemandem vor der Verkündung von der Auszeichnung erzählen dürfe. Er habe ihm dann gesagt, dass es in Ordnung sei, seiner Ehefrau davon zu berichten, sagte Perlmann.

Er habe bei dem Anruf aus Schweden zunächst geglaubt, dass ihn vielleicht jemand reinlegen wolle, sagte Pääbo der dpa in Leipzig. „Ich dachte zuerst: Kann das jetzt ein Scherz sein?“ Er habe nicht gewusst, dass die Entscheidung am Montag verkündet werden sollte. „Ich habe es noch nicht ganz verdaut“, sagte der 67-jährige Schwede am Nachmittag und damit einige Stunden nach dem Anruf. „Das Handy spielt seit einigen Stunden verrückt.“ Die Auszeichnung sei „natürlich supertoll“, auch für die Arbeitsgruppe und das Forschungsfeld. Sie gebe das Gefühl, dass das Forschungsfeld nicht mehr peripher erscheine, sondern „angekommen“ sei.

Schon länger Anwärter

Pääbo gilt schon länger als Anwärter für den Medizinnobelpreis, wurde in den vergangenen Jahren jedoch nicht mehr als Favorit gehandelt. Sein Vater, Sune Bergström, hatte 1982 ebenfalls den Nobelpreis für Medizin erhalten. Der Präsident der deutschen Max-Planck-Gesellschaft, Martin Stratmann, sagte über Pääbo: „Seine Arbeiten haben unser Verständnis der Evolutionsgeschichte der modernen Menschen revolutioniert.“

„Svante Pääbo ist der ‚Godfather‘ der alten DNA für uns“, sagte Ron Pinhasi vom Department für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien am Montag zur APA. Die Zuerkennung des Medizinnobelpreises an den schwedischen Evolutionsgenetiker ist für den Wissenschaftler, der bereits mehrere Forschungsvorhaben mit Pääbo durchgeführt hat, völlig verdient. Der nunmehrige Nobelpreisträger habe das Forschungsfeld zu dem gemacht, was es heute ist, so Pinhasi.

Nützliche Erkenntnisse

Als Wissenschaftler sei Pääbo ohne Sensationslust und mit einer großen Ernsthaftigkeit an die Sache herangegangen. Zunächst lag der Fokus auf der Extraktion und Entschlüsselung des Genoms selbst, in der Folge leitete man die evolutionären Begebenheiten ab, die die neuen Entdeckungen erlaubten. Pääbo habe nicht nur das Erbgut aufgearbeitet, sondern es „auch auf ein Level gebracht, dass man es nutzen und vergleichen kann. Das ist es, warum er meiner Meinung nach den Preis bekommen hat“, sagte Pinhasi.

Die Erkenntnisse über das genetischer Erbe der Vorfahren des modernen Menschen würden heute intensiv genutzt. So zeigte Pääbo unter anderem auch, dass gewisse Neandertaler-Gene eher schützend im Zusammenhang mit Covid-19- und HIV-Infektionen wirken. „Das zeigt den Wert dieser Genome“, betonte Pinhasi, der Pääbo attestiert, die Erforschung des Erbguts der menschlichen Spezies bis zu einem gewissen Grad neu begründet zu haben. Spreche man in Vorlesungen über die Grundlagen des Bereichs, komme man an dem 67-Jährigen nicht vorbei.

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Übergabe in Stockholm geplant

Im Vorjahr waren der US-Forscher David Julius und der im Libanon geborene Molekularbiologe Ardem Patapoutian geehrt worden. Prämiert wurden sie für ihre Entdeckungen der menschlichen Rezeptoren für Temperatur- und Berührungsempfinden.

Am Dienstag erfolgt die Verkündung der Preisträgerinnen oder Preisträger für Physik und am Mittwoch jene für Chemie. Nach den Wissenschaftspreisen wird wie gewohnt am Donnerstag der Literaturnobelpreis vergeben, am Freitag folgt der Friedensnobelpreis. Den Abschluss bildet am kommenden Montag die Auszeichnung für Wirtschaftswissenschaften.

Geplant ist, dass die Übergabe der Nobelpreise heuer am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel, wieder in Stockholm stattfinden soll. Dazu eingeladen werden auch die Gewinner der Jahre 2020 und 2021. In diesen beiden Jahren war die Verleihung CoV-bedingt in den Heimatländern der Preisträger durchgeführt worden. Die Auszeichnung ist wie im Vorjahr mit zehn Millionen schwedischen Kronen (knapp 920.000 Euro) dotiert.