Coronaviren unter dem Mikroskop
APA/AFP/National Institute of Allergy and Infectious Diseases
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Coronavirus

Genvariante könnte vor Symptomen schützen

Dass manche Menschen trotz einer Infektion mit dem Coronavirus keine Krankheitssymptome entwickeln, könnte laut neuen Erkenntnissen an einer bestimmten Genvariante im Körper der Betroffenen liegen. Personen mit zwei Kopien davon kommen demnach mehr als achtmal wahrscheinlicher durch eine SARS-CoV-2-Infektion, ohne sich krank zu fühlen.

Wie unterschiedliche Menschen auf eine Covid-19-Erkrankung reagieren, variiert stark. Während manche mit einem leichten Schnupfen davonkommen, kann die Krankheit auch schwerwiegende gesundheitliche Probleme mit sich bringen. Einige Menschen bleiben davon aber komplett verschont, denn sie werden trotz einer Infektion nicht krank oder spüren zumindest keine Krankheitssymptome.

Ein Forschungsteam um die Neurologin und Epidemiologin Jill Hollenbach von der Universität von Kalifornien in San Francisco (UCSF) wollte nun herausfinden, welche Mechanismen hinter den asymptomatischen Infektionen stecken. In einer aktuell im Fachjournal „Nature“ präsentierten Studie erklären die Forscherinnen und Forscher, dass bestimmte Genvarianten im Humanen Leukozytenantigen-System (HLA) damit zusammenhängen könnten. Laut Hollenbach handelt es sich um den ersten wissenschaftlichen Beweis, dass es eine genetische Grundlage für die asymptomatischen Infektionen gibt.

Wichtige Abwehr gegen Krankheitserreger

Die untersuchte Gengruppe ist wichtig für das menschliche Immunsystem und spielt unter anderem bei Knochenmarkstransplantationen eine Rolle. Je ähnlicher sich die HLA-Merkmale von Spender und Empfängerin sind, desto geringer ist die Gefahr von Abstoßungsreaktionen. Auch bei der Abwehr von Krankheitserregern ist das HLA-System von Bedeutung. „Man weiß mittlerweile, dass mit Variationen im HLA-System so viele Krankheiten in Verbindung gebracht werden können, wie mit keiner anderen Region des menschlichen Genoms“, so Hollenbach gegenüber science.ORF.at.

Die US-Forscherinnen und Forscher nutzten Gesundheitsdaten von bereits existierenden Transplantationslisten und eine mobile App eines anderen UCSF-Forschungsprojekts, um an detaillierte Informationen zu den asymptomatischen Krankheitsfällen zu kommen. Sie sammelten Daten von über 1.400 Personen, die zwischen Februar 2020 und April 2021 positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden. Bei 136 Individuen aus dieser Gruppe kam es zu einer asymptomatischen Infektion – sie zeigten mindestens zwei Wochen vor und nach dem positiven Test keine Krankheitssymptome.

Genvariante vermutlich ausschlaggebend

Bei der genaueren Untersuchung der Gesundheitsdaten zeigte sich, dass einige Probandinnen und Probanden aus der Gruppe der asymptomatischen Personen eine bestimmte HLA-Genvariante gemein hatten. „Diese Version eines Gens mit dem Namen HLA-B (Anm.: oder HLA-B15) hing in unserer Untersuchung immer eng mit den asymptomatischen SARS-CoV-2-Infektionen zusammen“, so Hollenbach. Jede fünfte Person ohne Symptome hatte zumindest eine Kopie der Genvariante im Körper. Mit zwei Kopien war es laut dem Forschungsteam sogar mehr als acht Mal wahrscheinlicher, dass die Betroffenen ohne Symptome durch eine SARS-CoV-2-Infektion kommen.

Unter allen untersuchten Probandinnen und Probanden wiesen rund zehn Prozent zumindest eine Kopie der Genvariante auf. „Unsere Untersuchung beschränkt sich aktuell aber noch rein auf Personen mit europäischer Abstammung“, stellt Hollenbach klar. Der Grund dafür liegt laut der Epidemiologin vor allem an der vergleichsweise großen Datenmenge, die von dieser Personengruppe in den Anfängen der Pandemie verfügbar war. In weiterführenden Untersuchungen müssten aber auch Personen mit anderer Abstammung berücksichtigt werden.

Immunsystem erinnert sich

Neben der Genvariante könnten auch noch weitere Faktoren für die asymptomatischen Infektionen verantwortlich sein. Die Forscherinnen und Forscher gehen aber davon aus, dass HLA-B15 zumindest dafür sorgt, dass das Immunsystem die Coronaviren schneller erkennt und effektiver bekämpft.

Um die These zu testen, arbeitete das Team mit Forscherinnen und Forschern der La-Trobe-Universität in Australien zusammen. In weitere Experimente flossen Proben mit T-Zellen von Personen ein, die zwar die Genvariante HLA-B15 aufwiesen, aber noch nie in Kontakt mit SARS-CoV-2 waren. „Die Proben stammten noch aus einer Zeit, in der von einer Coronavirus-Pandemie noch gar keine Rede war“, erklärt Hollenbach.

In den Experimenten zeigte sich, dass die T-Zellen der Personen mit der Genvariante auf einen Teil des Virus reagierten, der ihnen unter normalen Umständen eigentlich unbekannt sein müsste. Die T-Zellen konnten das Virus schnell als Gefahr erkennen und dagegen vorgehen. Dass das Immunsystem dazu in der Lage ist, liegt laut Hollenbach wahrscheinlich an früheren Infektionen mit anderen Coronaviren, die zum Beispiel eine saisonale Grippe auslösen können. Die T-Zellen der Personen mit der Genvariante konnten sich an bestimmte Teile der Viren erinnern und so schneller gegen SARS-CoV-2 vorgehen.

Grundlage für medizinische Fortschritte

Noch ist laut Hollenbach viel Forschungsarbeit nötig, um aufbauend auf die Studienergebnisse tatsächliche Fortschritte in der Medizin zu erwarten. Die Rolle der Genvariante HLA-B15 müsse erst noch in weiteren umfangreichen Studien genauer geklärt werden. Außerdem möchte das US-amerikanische Forschungsteam herausfinden, ob noch weitere Genvariationen im HLA-System ähnliche Funktionen aufweisen.

Trotzdem sieht die Epidemiologin großes Potenzial in der Erkenntnis, dass die körpereigenen Gene zu einer symptomlosen SARS-CoV-2-Infektion beitragen: „Künftig könnten daraus auch bessere Impfungen und effektivere Medikamente entstehen, die zwar nicht vor einer Infektion schützen, aber den Krankheitsverlauf deutlich abschwächen.“