Sonnenaufgang am Schwarzen Meer
AFP/DANIEL MIHAILESCU
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Rekonstruktion

Woher die indoeuropäischen Sprachen stammen

Die indoeuropäische Sprachfamilie ist die größte der Welt. Wo und wann genau sie ihren Ursprung hat, ist in der Fachgemeinschaft bis heute umstritten. Laut einer aktuellen Studie wurde die Ursprache bereits vor gut 8.000 Jahren südlich des Kaukasus gesprochen.

Die halbe Weltbevölkerung spricht heute eine indoeuropäische Sprache. Hervorgegangen ist die weiterverzweigte Familie, zu der heute zum Beispiel alle germanischen, romanischen und indoiranischen Sprachen zählen, vermutlich aus einer Ursprache, dem Protoindoeuropäisch. Wo diese allerdings ihren Ursprung hat, wird unter Fachleute seit mehr als 200 Jahren diskutiert.

Es gibt im Wesentlichen zwei Thesen zu ihrer Verortung: Laut ersterer liegen die Wurzeln in Steppengebieten der heutigen Ukraine und von Russland. So kam etwa eine Studie auf Basis von DNA-Analysen vor vier Jahren zu dem Schluss, dass der Ursprung der Sprachfamilie auf eine Gruppe von Viehzüchtern aus der Steppe zurückgeht, die sich vor rund 5.000 Jahren auf den Weg in Richtung Europa machten. Erst die Nachfahren breiteten sich demnach wieder in Richtung Osten aus.

Laut der Anatolien und Ackerbau-Hypothese reichen die Ursprünge hingegen ungefähr 9.000 Jahre zurück, zu Bauern im Fruchtbaren Halbmond, die die Sprache gemeinsam mit dem Ackerbau nach Europa und Asien gebracht haben sollen.

Vor mehr als 8.000 Jahren

Rückschlüsse auf den Sprachursprung werden in der Regel mit Hilfe von phylogenetischen Sprachanalysen gemacht, etwa indem man mit Hilfe des Kernwortschatzes von Sprachen den Stammbaum der Sprachfamilie rekonstruiert. Die Qualität der verwendeten Daten ist dabei entscheidend.

Um die Sprachursprungsfrage endgültig zu klären, haben Forscherinnen und Forscher vom deutschen Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie gemeinsam mit einem internationalen Team nun einen neuen Datensatz erstellt. Er enthält einen ausgewählten Kernwortschatz aus 161 indoeuropäischen Sprachen, darunter auch 52 historische – also nicht mehr gesprochene Sprachen.

Karte zur Verbreitung der Indoeuropäischen Sprachen
P. Heggarty et al., Science
Karte zur Verbreitung der Indoeuropäischen Sprachen

Außerdem verwendete die Forschungsgruppe für ihre soeben im Fachmagazin „Science“ erschienene Studie neuartige statistische Methoden, um zu prüfen, ob alte geschriebene Sprachen wie Latein und Sanskrit direkte Vorfahren heutiger Sprachen sind. Zusätzlich wurden die Resultate mit aktuellen Erbgutanalysen abgeglichen. Die endgültige Chronologie sei durch die Vielzahl an verwendeten Modellen sehr robust, heißt es in einer Aussendung zur Arbeit. Das Alter des Protoindoeuropäischen schätzen die Studienautoren und -autorinnen nun auf etwa 8.100 Jahre, wobei sich fünf Hauptzweige schon vor etwa 7.000 Jahren abspalteten.

Hybrider Ursprung

Die Ergebnisse stimmen weder mit der Steppen- noch der Ackerbauhypothese völlig überein. „Jüngste DNA-Daten weisen darauf hin, dass der anatolische Zweig des Indogermanischen nicht aus der Steppe stammt, sondern von weiter südlich, im oder nahe dem nördlichen Bogen des Fruchtbaren Halbmonds – als früheste Quelle der indogermanischen Familie“, erklärt Erstautor Paul Heggarty in der Aussendung. „Die Daten der Stammbaumaufspaltung deuten auf andere frühe Zweige hin, die sich ebenfalls direkt von dort und nicht über die Steppe verbreitet haben könnten.“

Das internationale Forschungsteam schlägt daher eine hybride Ursprungshypothese vor: Die endgültige Urheimat des Protoindoeuropäischen liege südlich des Kaukasus, im nördlichen Fruchtbaren Halbmond. Nur eine größere Verzweigung der Ursprache gab es von dort nach Norden in Richtung Steppe. Die Steppe sei dann eine Art Zweitheimat für einige Sprachzweige, die später nach Europa kamen. Hauptautor Russell Gray fasst die Ergebnisse in der Aussendung wie folgt zusammen: „Alte DNA und Sprachphylogenetik legen somit nahe, dass die Lösung des 200 Jahre alten indogermanischen Rätsels in einer Mischung aus der Ackerbau- und der Steppenhypothese liegt.“