Lueger-Denkmal, Wien
APA/GEORG HOCHMUTH
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Public History

Geschichte als Bühne für die Gegenwart

Von Protesten um das Lueger-Denkmal in Wien bis zu monarchistischen Traditionsvereinen: Politische Bewegungen, ethnische Minderheiten, aber auch Nationalstaaten und sogar Kleinfamilien benutzen Geschichte, um Geschichten über sich zu erzählen. Wie und warum sie das tun, ist ab heute Thema einer Tagung von Historikerinnen und Historikern in Wien.

Geschichte prägt die Gegenwart: Politikerinnen und Politiker berufen sich auf angebliche historische Wurzeln, Fernsehserien wie „Babylon Berlin“ oder „Downton Abbey“ lassen vergangene Zeiten wieder aufleben, Aktivistinnen und Aktivisten besprühen unerwünschte Denkmäler im öffentlichen Raum mit Graffiti. Forschende fassen all das unter dem Begriff Public History zusammen – Geschichte in der Öffentlichkeit.

Wie verschiedenste Akteure und Institutionen auf Geschichte zurückgreifen, um ihre Interessen durchzusetzen, den Zusammenhalt zu stärken und zu mobilisieren, ist auch Thema einer Tagung der Universität Wien, die ab Freitag im Volkskundemuseum in Wien stattfindet. Das Volkskundemuseum ist selbst einer von zahlreichen Orten, an denen Public History, also öffentliche Geschichte, stattfindet, sagt der Historiker Marko Demantowsky, einer der Tagungsleiter, im Gespräch mit science.ORF.at. Er erforscht am Fakultätszentrum für transdisziplinäre historisch-kulturwissenschaftliche Studien der Universität Wien, wie außerhalb der Universität mit der Vergangenheit, mit Geschichte also, umgegangen wird.

Neutralität, Monarchie, Rechtsradikale

In Österreich wird zum Beispiel seit dem Ukraine-Krieg die Neutralität als identitätsstiftendes Element der nationalen Geschichte zumindest in Frage gestellt. Demantowsky beobachtet aber auch monarchistische Traditionsvereine, die in spezieller Kleidung aufmarschieren, oder rechtsradikale Gruppierungen, die sich anlässlich der Geburtstage ihrer Helden versammeln.

Aktuell ist dieser „Erinnerungsaktivismus“ auch bei den Bewegungen rund um Denkmäler zu sehen. In Wien sei das zum Beispiel rund um das Lueger-Denkmal der Fall gewesen, so der Historiker: „Es gab ein institutionalisiertes Verfahren, um die Bedeutung und Präsenz des Denkmals in der Gegenwart neu zu reflektieren. Doch das war Aktivisten und Aktivistinnen nicht radikal und schnell genug. Es kam zu Kunstaktionen, zu Graffiti und anderen Formen des Protestes, um hier Bewegung hineinzubringen.“

Geschichtswissenschaft als Drehbuchanalyse

Public History, könne man sich vorstellen wie eine Bühne, auf der bestimmte Rollen gespielt werden: „Wenn ich dieses Rollenspiel nun beobachte, dann sagt mir das etwas über das Drehbuch, nach der diese Gesellschaft funktioniert“. Auf dieser Bühne spielen heute auch migrantische Gruppen eine Rolle, die ihre eigene Version von Geschichte verfechten – oft in Konkurrenz zueinander. Deutlich wird das etwa beim Thema Jugoslawien-Krieg. Für Historikerinnen und Historiker an den Universitäten ist all das ein spannendes Forschungsfeld.

„Alle politischen Milieus haben ihre eigenen historischen Orientierungen, und man kann an der Präsenz in der Gegenwart, an der Gestaltung dieser Vergangenheitsbezüge, sehr viel ablesen über die Situation der Gesellschaft im Jetzt-Zustand“, sagt Demantowsky. Public History spiegle die gesellschaftlichen Bewegungen wider und zeige Tendenzen für die Zukunft.

Geschichte ist identitätsstiftend und deshalb ein zentrales Mittel für Familien, und auch Staaten, sich zu definieren. Trotzdem ist öffentliche Geschichte dynamisch, so der Historiker, der in Österreich gerade zahlreiche Neuausrichtungen beobachtet. Etwa bei den Straßennamen – weg von habsburgischen Generälen hin zu berühmten Frauen aus Wissenschaft und Politik. Oder, dass man immer mehr Denkmäler in den Vordergrund rückt, die dem Kampf um die Demokratie gewidmet sind. „Ich sehe eigentlich eine unglaublich interessante, positive Tendenz der nationalen demokratischen Selbstfindung.“

Zwischen Distanz und Engagement

Auf der Public-History-Tagung diskutieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor allem zum Thema politischer Aktivismus, denn weltweit kämpfen aktivistische Bewegungen auf der Basis von Geschichte für ihre Rechte und Forderungen. Dabei geht es auch um die Frage, wie sich die universitären Geschichtswissenschaftler dazu verhalten sollten. Manche wahren professionelle Distanz zu den Diskussionen und teils konfliktreichen Auseinandersetzungen.

Andere bringen sich ein, diskutieren im Fernsehen mit, manche nehmen auch Partei für eine bestimmte Gruppe oder beteiligen sich rege mit Beiträgen in den Sozialen Medien. Ziel der Konferenz sei es auch, ein gemeinsames Fundament zu legen für eine Verständigung über Standards und Normen unter Fachleuten. Demantowsky nimmt zu der Frage, inwieweit Wissenschaftlerinnen sich politisch engagieren sollten, eindeutig Stellung: Die Rollen gehören für ihn strikt getrennt.

Tagung zu Public History

Die Tagung „Political Activism in and through Public History“ findet von 1. bis 3. September im Volkskundemuseum Wien statt und kann auch im Livestream verfolgt werden.

„Wissenschaft ist komplex“

Als Historiker beruhe das Gewicht, das die eigene Stimme in der Öffentlichkeit hat, stark darauf, dass man seine Aussagen anhand des aktuellen Forschungsstandes begründen könne. Sobald man aber politisch agiere, funktioniere das nicht mehr, „denn Wissenschaft ist in ihren Ergebnissen nicht so eindeutig, sondern komplex und umstritten, das gehört zur Wissenschaft dazu“, so Demantwosky.

Seine Position wird auf der Konferenz wohl kontrovers und leidenschaftlich diskutiert werden. Zum einen, weil die Forschenden aus den verschiedensten Staaten kommen und somit auch unter unterschiedlichen politischen Verhältnissen als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten. Zum anderen, weil das Thema Wissenschaftsaktivismus mit der Coronavirus-Pandemie und der Klimakrise zunehmend an Bedeutung gewinnt.