Verlaufskurve von Krankheitsfällen
Getty Images/Teradat Santivivut
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Pandemiefolge

Chaos in der Virenwelt

Das Coronavirus hat viel von seiner ursprünglichen Gefährlichkeit eingebüßt, doch Spätfolgen der Pandemie sind immer noch spürbar. Eine davon betrifft die „Konkurrenz“ aus der Gruppe der respiratorischen Erreger: Influenza- und RS-Viren. Das hat auch positive Aspekte – ein Influenza-Stamm etwa ist offenbar während der Pandemie ausgestorben.

„Die Pandemie hat auch die anderen Viren durcheinandergewürfelt. Sie sind viel unberechenbarer geworden“, sagte die deutsche Virologin Isabella Eckerle kürzlich in einem Spiegel-Interview. Und verwies auf zwei Auffälligkeiten: Zum einen sei die Infuenza-Welle im letzten Jahr ungewöhnlich früh aufgetreten, zum anderen habe es bei Kindern einige atypische Infektionswellen mit RS-Viren gegeben. Warum ist das so?

Die Ursachen reichen bis in die Anfangsphase der Pandemie zurück, in jene Zeit, als viele Länder drastische Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen oder zumindest zu bremsen. Dass die Lockdowns auch psychosoziale Effekte haben würden bzw. zu Kollateralschäden führen könnten, wurde im initialen Schockzustand weitgehend ausgeblendet.

Backlash der Erreger

Fakt ist allerdings auch: Was die Virusverbreitung betrifft, waren die Maßnahmen wirksam, wie sich etwa am Grippevirus ablesen lässt. Die Influenzawelle 2020/2021 fiel nämlich komplett aus.

Auch die RSV-Erreger hatten in dieser Zeit wenig Möglichkeiten sich zu vermehren – und genau deshalb beobachtet man jetzt sozusagen einen Backlash, sagt der Molekularbiologe Ulrich Elling von der Akademie der Wissenschaften. „Kleine Kinder haben nicht, wie es vorher üblich war, regelmäßig ihre Erkältungsperioden im Winter durchgemacht und daher weniger Immunität aufgebaut. Deswegen gibt es einfach viel mehr Potenzial für diese RS-Viren sich zu vermehren. Ähnliches gilt für Influenza.“

Influenza-Stamm ausgestorben

Es gibt auch einen positiven Aspekt. Von den vier Influenza-Virusstämmen ist einer der beiden B-Stämme – namens Yamagata – während der Pandemie offenbar ausgestorben. Die Karten werden also neu gemischt, Influenza wurde dezimiert, auf der anderen Seite ist mit dem Coronavirus nun ein neuer Erreger hinzugekommen. Womit sich das gesamte Ökosystem der Viren nachhaltig verändert hat.

Denn so unabhängig, wie die einzelnen Erreger scheinen mögen, sind sie keineswegs, betont Elling. So sei es durchaus üblich, dass sich Infektionswellen gegenseitig blockieren. Der Grund: „Wenn man mit einem Virus infiziert ist, dann hat man eine Interferon-Antwort und kann von anderen Viren nicht so gut infiziert werden. Oder man liegt im Bett, dann ist dem auch so.“ Das Wechselspiel der verschiedenen Viren sei durch das Auftreten des Coronavirus jedenfalls komplexer geworden.

Was aber nicht bedeutet, dass zum Beispiel eine Coronavirus-Infektion durch eine vorangegangene Influenza-Infektion vollständig blockiert wird. Im letzten Winter hatten etwa vier Prozent aller Covid-19-Patientinnen und -patienten gleichzeitig auch eine Influenza-Infektion, Doppelinfektionen sind also durchaus möglich.

Wie geht es nun weiter? Das Chaos in der Virenwelt werde sich mittelfristig wohl legen, prognostiziert Elling. Er geht davon aus, dass sich die Verhältnisse in den nächsten Jahren wieder einpendeln – und die Erreger zu ihrem alten saisonalen Muster zurückkehren werden.