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LIGHTFIELD STUDIOS – stock.adobe.com
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Studie

Welche Lieder Schmerzen dämpfen

Dass Musik nicht nur Stress, sondern auch Schmerzen verringern kann, ist wissenschaftlich erwiesen. Ein kanadisches Forschungsteam fand nun heraus, welche Lieder das Schmerzempfinden am besten dämpfen. Dabei kann es große individuelle Unterschiede geben – eine Erkenntnis, die auch die Schmerztherapie verbessern könnte.

Das wichtigste Ergebnis der Studie, die nun im Fachjournal „Frontiers in Pain Research“ veröffentlicht wurde: Es gibt nicht das eine Lied, das Schmerzen zu dämpfen vermag, und nicht einmal den idealen Stil dafür – beispielsweise Entspannungsmusik, wie sie jetzt schon oft in Zahnarztpraxen zu hören ist. Denn welche Wirkung ein bestimmtes Lied auf das Schmerzempfinden hat, unterscheidet sich von Mensch zu Mensch.

Bisherige Forschung zeigte bereits, dass Musik eine Möglichkeit sein kann, das Schmerzempfinden ohne Medikamente zu unterdrücken. Verringerte Schmerzempfindlichkeit wird in der Fachsprache als Hypoalgesie bezeichnet. Sie tritt auf, wenn Schmerzreize zwischen dem Einwirken und dem Moment, an dem sie bewusst als Schmerz wahrgenommen werden, unterbrochen werden – und sie ist Ziel der Schmerztherapie, das auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden kann.

Dass Musik einer dieser Wege sein kann, ist also schon länger bekannt. Welche Eigenschaften Musik haben muss, um schmerzlindernd zu wirken, sei bisher aber nur wenig untersucht worden, schreibt das Forschungsteam um den Neurowissenschaftler Darius Valevicius von der Universität Montreal in Kanada.

Sieben Minuten Schmerz und Musik

Was bisherige Studien bereits zeigten: Musik, die von Testpersonen selbst ausgewählt wurde, zeigte meist eine bessere Wirkung bei der Dämpfung des Schmerzes. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Montreal wollten nun näher untersuchen, was an diesen Lieblingsliedern ausschlaggebend für die schmerzlindernde Wirkung wichtig ist.

Im Schmerzlabor der benachbarten McGill Universität, dem Roy Pain Lab, führten sie Tests an über 60 Probandinnen und Probanden durch. Diese hatten zuvor Fragen zu Musik und zu ihren Lieblingstracks beantwortet. Im Experiment wurden sie später thermischen Reizen durch Hitze ausgesetzt, ähnlich dem Gefühl, wenn ein heißes Teehäferl auf die Haut gedrückt wird. Gleichzeitig mit dem Reiz wurden Lieder von jeweils etwa sieben Minuten Länge abgespielt.

Das Hören der persönlichen Lieblingsmusik hatte dabei „eine viel größere Wirkung“ auf die Schmerzintensität, so Erstautor Valevicius in einer Aussendung. Unbekannte Entspannungsmusik verringerte die Intensität des Schmerzes und die damit verbundenen unangenehmen Empfindungen weit weniger.

Bittersüße Lieder gegen den Schmerz

Um herauszufinden, welche Aspekte der Musik einen besonderen Einfluss auf das Schmerzempfinden haben, bezogen die Forscherinnen und Forscher anhand des zuvor geführten Interviews eine weitere Ebene in ihre Analyse mit ein: die emotionalen Reaktionen der Testpersonen auf deren Lieblingslieder. Darauf basierend teilten sie die Tracks vier verschiedenen Themen zu – bewegend, beruhigend, heiter und anregend.

Im Experiment stellten sie fest, dass sich diese verschiedenen emotionalen Themen unterschiedlich auf die Schmerzwahrnehmung auswirkten. Lieblingslieder, die als „bewegend“ eingestuft worden waren, verringerten das Schmerzempfinden am meisten. Es seien die „bittersweet symphonies“ unter den Lieblingsliedern, die am meisten dabei helfen, körperlichen Schmerz auszuhalten, so das Forschungsteam – jene Musik also, die schmerzlich und schön zugleich ist, wie etwa das gleichnamige Lied der britischen Band „The Verve“.

„Wir fanden heraus, dass emotionale Reaktionen auf Musik eine sehr starke Rolle dabei spielen, ob diese eine Wirkung auf den Schmerz hat“, so Valevicius. Die Testpersonen nahmen den Schmerz als weniger stark wahr, wenn sie während des Reizes Lieder hörten, die sie mit bewegenden, bittersüßen emotionalen Erlebnissen verbanden.

„Musikalische Schauer“

Diese Wirkung könne auf eine „intensivere Freude an der Musik“ zurückzuführen sein, und auf etwas, das der Neurowissenschaftler „musikalische Schauer“ nennt. Diese Schauer können sich als Kribbeln, Frösteln und Gänsehaut äußern. Was genau „musikalische Schauer“ sind, sei noch nicht vollständig geklärt, das Phänomen scheine aber auf einen neurophysiologischen Prozess hinzuweisen, der Schmerzsignale wirksam blockiert.

Mit den Ergebnissen der Studie könnten musikbasierte Schmerztherapien individualisiert und somit verbessert werden. Zu den offenen Fragen, die in weiteren Studien geklärt werden sollen, gehört, ob auch andere, nicht-thermische Reize durch dieselben Lieder gelindert werden, etwa mechanische Reize und auch chronische Schmerzen. Und auch die Frage, welche Auswirkungen die Dauer des Musikstücks auf die gefühlte Intensität des Schmerzes hat, soll noch untersucht werden.