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Halfpoint – stock.adobe.com
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Studie

Warum Durchmachen übermütig macht

Trotz Müdigkeit fühlt man sich nach einer durchgemachten Nacht oft übermütig und ausgelassen. Was dabei im Gehirn passiert, untersuchte ein Forschungsteam aus den USA nun an Mäusen. Der kurzfristige Schlafentzug wirkt laut der Studie wie ein Antidepressivum – ein Effekt, der mehrere Tage lang anhält.

Die meisten Menschen, die eine Nacht durchgemacht haben, kennen das Gefühl: Der Körper ist müde und erschöpft, das Gehirn signalisiert das Gegenteil. Dass akuter Schlafentzug die Stimmung beeinflussen und depressive Episoden sogar umkehren kann, ist zwar seit längerem bekannt, was sich dabei im Gehirn abspielt, war bisher aber unklar.

Dauerhafter Schlafmangel sei samt seiner schädlichen Auswirkungen gut erforscht, kurzfristiger Schlafentzug – „wie bei Studierenden, die vor einer Prüfung die ganze Nacht lernen“ – hingegen weniger, so Studienautorin Yevgenia Kozorovitskiy vom Institut für Neurobiologie der Northwestern University in den USA in einer Aussendung. Im Rahmen der Studie, die nun im Fachjournal „Neuron“ veröffentlicht wurde, führte das Forschungsteam akuten Schlafentzug bei Mäusen herbei – sanft, um die Tiere nicht zu sehr zu belasten, aber unangenehm genug, um sie am Einschlafen zu hindern.

Nach einer schlaflosen Nacht veränderte sich das Verhalten der Mäuse: Im Vergleich zu den Kontrolltieren, die eine normale Nachtruhe hatten, wurden sie agressiv und hyperaktiv. Dieses Verhalten verschwand nach wenigen Stunden wieder, „ein antidepressiver Effekt wirkte aber noch mehrere Tage nach“, so die Studienautorinnen und -autoren.

Glückshormon Dopamin wird ausgeschüttet

Zwei wesentliche Veränderungen im Gehirn konnte das Team um Yevgenia Kozorovitskiy und Erstautor Mingzheng Wu beobachten. Erstens wurde während des akuten Schlafmangels das als Glückshormon bekannte Dopamin in großen Mengen ausgeschüttet. Zweitens konnten sie neuronale Plastizität im Gehirn der Mäuse feststellen. Das ist die Fähigkeit von Synapsen, Nervenzellen und auch ganzen Gehirnarealen sich zu verändern, wenn das von Vorteil für laufende Prozesse im Körper ist.

Im Falle der übermüdeten Mäuse seien Synapsen im Gehirn vorübergehend buchstäblich neu verdrahtet worden, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. „Wir haben herausgefunden, dass Schlafentzug eine starke antidepressive Wirkung hat und das Gehirn innerhalb von nur wenigen Stunden neu konfigurieren kann.“

„Wie eine Dosis Ketamin“

Natürlich „erleben Nagetiere möglicherweise nicht dasselbe, was wir meinen, wenn wir von ‚Depression‘ sprechen“, so Kozorovitskiy gegenüber science.ORF.at. Es gebe aber verschiedene Tests, mit denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Verhaltensweisen untersuchen können, die denen des Menschen ähneln, wenn er sich niedergeschlagen fühlt.

In der aktuellen Studie verwendete das Team dazu das Konzept der „erlernten Hilflosigkeit“. Dabei wird eine Situation nachgeahmt, in der jemand aufgrund negativer Erfahrungen in der Vergangenheit glaubt, er könne seine Situation nicht ändern, auch wenn dies gar nicht der Fall ist. Dieses erlernte Gefühl der Hilflosigkeit könne auch bei Nagetieren dazu führen, dass sie sich passiv und kraftlos verhalten, so Kozorovitskiy: „Zum Beispiel versuchen Mäuse und auch andere Tiere normalerweise, vor Dingen zu flüchten, die sie nicht mögen. Haben sie aber in der Vergangenheit erlebt, dass sie zum Beispiel einen Schlag auf die Pfote nicht vermeiden können, flüchten sie auch dann nicht mehr, wenn sie es eigentlich könnten.“

Bestimmte schnell wirkende Antidepressiva, wie beispielsweise Ketamin, wecken das Gefühl, eine Situation wieder unter Kontrolle zu haben und aktiv und selbstwirksam darauf reagieren zu können. „In der Studie haben wir festgestellt, dass die Wirkung von kurzfristigem Schlafentzug etwa so stark war wie die einer Dosis Ketamin“, so die Neurobiologin. Durch wiederholte Verhaltenstests an den Mäusen stellte das Forschungsteam fest, dass der Effekt erst nach einigen Tagen wieder abnahm.

„Sport ist sinnvoller“

Aus welchem Grund Schlafentzug diese Wirkung im Gehirn hervorruft, könne nur vermutet werden, so die Forscherinnen und Forscher. Naheliegend sei, dass hier – wie so oft – die Evolution im Spiel ist und der Effekt sich in einigen Situationen als vorteilhaft erwiesen habe, beispielsweise wenn ein Raubtier oder eine andere Gefahr es notwendig machten, den Schlaf hinauszuzögern und gleichzeitig den Körper zu aktivieren.

Die Studienergebnisse sollen dazu beitragen, besser zu verstehen, wie sich die Stimmung auf natürliche Weise verändern kann. Und sie könnten zu einem besseren Verständnis der Wirkungsweise schnell wirkender Antidepressiva führen, wie etwa Ketamin, dessen kurzfristige Wirkung bei behandlungsresistenten Depressionen seit einiger Zeit vermehrt erforscht wird. Das Forschungsteam warnt aber davor, die Nacht durchzumachen, nur um die Stimmung aufzuhellen: „Die antidepressive Wirkung ist nur vorübergehend, und wir wissen, wie wichtig eine gute Nachtruhe ist.“ Sport oder ein Spaziergang seien da sinnvoller.