Junge Mutter blickt auf ihr Baby, das mit weit auferissenen Augen in die Kamera schaut
New Africa – stock.adobe.com
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Studie

Babys erkennen Muttersprache schon vor Geburt

Neugeborene haben die Fähigkeit, theoretisch jede Sprache der Welt in relativ kurzer Zeit zu lernen. Auf jene der Mutter reagieren sie aber schon in ihren ersten Tagen besonders stark, zeigen aktuelle Studiendaten. Sie lassen darauf schließen, dass der Spracherwerb schon vor der Geburt beginnt, was das spätere Erlernen der Muttersprache erleichtert.

Gesunde Föten entwickeln ihr Hörvermögen ungefähr zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche. Ab diesem Zeitpunkt machen sie komplett neue Erfahrungen und hören erste Geräusche und Stimmen. Was sie mit den Informationen anstellen und wie sehr die Eindrücke ihre spätere Entwicklung beeinflussen, ist in vielen Bereichen noch unklar. Klar ist, dass Föten schon während der Schwangerschaft auf die Stimme ihrer Mutter reagieren. Neugeborene sind daher dazu in der Lage, fremde Stimmen klar von jener ihrer Mutter zu unterscheiden.

Studie mit Neugeborenen

Dass die Föten neben Merkmalen der Stimme auch bereits Informationen über die Sprache der Mutter sammeln, hat nun ein Team um die Doktorandin Benedetta Mariani und die Sprach- und Psychologieexpertin Judit Gervain vom Zentrum für Neurowissenschaften der Universität Padua (IT) herausgefunden. Die Forscherinnen und Forscher untersuchten 33 Neugeborene in ihren ersten fünf Tagen nach der Geburt und präsentieren die Ergebnisse aktuell im Fachjournal „Science Advances“.

Märchen in drei Sprachen

Für die Untersuchung wandte sich das Team an ein Krankenhaus in Paris, um dort die Kinder französischsprachiger Mütter zu untersuchen. „Wir waren täglich vor Ort und haben unser Vorhaben werdenden Eltern bzw. den Müttern erklärt und um Einverständnis gebeten, die Neugeborenen kurz nach der Geburt untersuchen zu dürfen“, erklärt Gervain gegenüber science.ORF.at.

Nachdem eine Erlaubnis erteilt war, startete das Team die Elektroenzephalografie-Untersuchungen (EEG) an den Neugeborenen, die zwischen einem und fünf Tage alt waren. „Wir haben ihnen dabei eine komplett harmlose und bequeme Haube aufgesetzt, mit der wir die Hirnaktivität messen konnten“, sagt Gervain. „Sie durften dabei sogar schlafen, weil wir mittlerweile wissen, dass Föten und Neugeborene Stimmen auch im Schlaf verarbeiten.“

Während der Untersuchung hörten die Neugeborenen Teile des Märchens „Goldlöckchen und die drei Bären“. Dabei rotierte die Sprache in den Hörbeispielen zwischen Französisch, Spanisch, Englisch oder einer dreiminütigen Pause. Die Forscherinnen und Forscher testeten dann die Gehirnaktivitäten nach unterschiedlichen Sequenzen der Hörbeispielsprachen.

Neugeborene erkennen Muttersprache

Es zeigte sich, dass die Neugeborenen stärker auf Französisch und damit auf ihre Muttersprache reagierten – auch dann, wenn sich die Stimme in den Hörbeispielen von jener der Mutter unterschied. „Das war für uns ein klares Zeichen, dass der Spracherwerb schon vor der Geburt starten muss“, so Gervain.

Laut der Sprach- und Psychologieexpertin könnte das in weiterer Folge den Erwerb der Muttersprache deutlich erleichtern. Auch, wenn die Neugeborenen den Sinn der Sprache vorerst nicht verstehen, seien erste Kenntnisse über den Rhythmus, besondere Klänge und Tonhöhen beim späteren Lernen der Sprache klar von Vorteil.

Gehirnaktivität hält an

Ein besonders spannendes Ergebnis war laut Gervain außerdem, dass die Neugeborenen nicht nur während der Geschichte, sondern auch in der Pause nach dem französischen Satz eine sehr viel höhere Gehirnaktivität aufwiesen als nach anderen Sprachen. „Sinngemäß kann man sagen, dass sie nach dem Hören der Muttersprache noch länger darüber nachdenken, um die Informationen zu verarbeiten“, erklärt Gervain und stellt klar: „Natürlich nicht bewusst oder absichtlich, aber ihr Gehirn arbeitet und lernt.“

Auch diese Erkenntnis sei demnach ein klarer Hinweis darauf, dass Kinder schon vor der Geburt Sprachkenntnisse erwerben und dadurch einen Vorteil haben, der ihnen das Erlernen der Muttersprache erleichtert.

Gespräche während Schwangerschaft von Vorteil

„Es ist immer gut, wenn man in der Schwangerschaft mit dem heranwachsenden Kind spricht“, sagt Gervain. Werdende Mütter müssten sich darüber aber gleichzeitig auch nicht zu viele Gedanken machen. „Das, was ein Kind schon allein durch die normalen Unterhaltungen der Mutter mitbekommt, ist von Natur aus meist schon genug, um den Fötus mit ausreichend Informationen zu versorgen.“

Ausführliche Gespräche und auch das Vorspielen von Musik vor und auch nach der Geburt schaden laut Gervain aber in keinem Fall und könnten dem Kind im späteren Leben wahrscheinlich einiges erleichtern.