Junge Mutter blickt auf ihr Baby, das mit weit auferissenen Augen in die Kamera schaut
New Africa – stock.adobe.com
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Sprachrhythmus

Warum Kinderlieder beim Spracherwerb helfen

Mit etwa einem Jahr beginnen Kinder zu sprechen, das Erlernen der Muttersprache beginnt aber deutlich früher. Gehirnstromanalysen zeigen nun: Die ersten Laute werden erst mit sieben Monaten erkannt. Davor orientieren sich die Babys eher an Rhythmus und Melodie. Kinderlieder sind dafür ideal.

Lange bevor sie im Alter von etwa einem Jahr ihr erstes Wort sprechen, beschäftigen sich Babys mit ihrer Muttersprache. Man erkennt, wie sie aufmerksam zuhören und auf Ansprache reagieren, besonders stark auf übertriebene Betonungen und Sing-Sang, was nachweislich beim Spracherwerb hilft. Auch Melodien dürften eine besondere Rolle spielen: Abwechslungsreiche Lieder wie der „Bi-ba-Butzemann“ hängen sogar mit einem größeren Wortschatz im zweiten Lebensjahr zusammen, wie eine im Oktober veröffentlichte Studie ergab.

„Blick“ ins Gehirn

Dass sich bei der Sprachentwicklung in den ersten Lebensmonaten sehr viel tut, lässt sich am Verhalten ablesen und durch Experimente nachweisen. Daher weiß man etwa, dass Babys schon mit vier bis sechs Monaten einzelne Wörter verstehen. Seit einigen Jahren kann man nun auch mehr oder weniger direkt untersuchen, was beim Spracherwerb im Gehirn passiert beziehungsweise welche neuronalen Prozesse ihm zugrunde liegen: mit Hilfe von Gehirnstromanalysen (EEG). Eine solche Untersuchung zeigte erst kürzlich, dass schon Neugeborene ihre Muttersprache von anderen Sprachen unterscheiden können, der Lernprozess also sogar schon vor der Geburt beginnt.

Auch die Forscherinnen und Forscher um Usha Goswami von der britischen Cambridge University nutzten für ihre soeben im Fachmagazin „Nature Communications“ veröffentlichten Studie Messungen der Hirnströme. Damit wollten sie feststellen, ab wann Babys lautliche Merkmale erkennen können. Laute gelten als die kleinsten Elemente der Sprache. Ihre Kenntnis ist notwendig, um sinnvolle Wörter und Sätze bilden zu können.

Rhythmus statt Laute

Das Team hat die Gehirnströme derselben 50 Babys im Alter von vier, sieben und elf Monaten gemessen, während ihnen auf Videos Kinderlieder vorgespielt wurden. Verglichen wurden diese Aufzeichnungen mit Messungen bei Erwachsenen, die ebenfalls diese Lieder hörten. Das Aktivitätsmuster zeigt jeweils, wie Babys und Erwachsene das Gehörte wahrnehmen. Der Vergleich ergab, dass erste phonetische Sprachmerkmale im Gehirn erst mit sieben Monaten abgebildet werden, obwohl die Babys zu diesem Zeitpunkt schon einfache Wörter verstehen. Auch danach – im Alter von elf Monaten – sind die diesbezüglichen Fortschritte eher schleppend. Dabei geben viele Kinder zu diesem Zeitpunkt schon einzelne Wörter von sich.

Baby mit Schnuller und EEG-Haube
Centre for Neuroscience in Education, University of Cambridge
Baby mit Schnuller und EEG-Haube

Die Studienautoren und -autorinnen schließen daraus, dass das Erlernen von spezifischen Lauten und ihren Merkmalen für den Spracherwerb gar nicht so entscheidend ist, wie man annehmen könnte. Vermutlich helfen andere akustische Signale beim Lernen, zum Beispiel der Sprechrhythmus, wie er etwa durch die wechselnde Betonung oder durch das Heben und Senken der Stimme entsteht – diese Variationen hören schon Ungeborene im Mutterleib.

Goswami und ihr Team untersuchen diesen Aspekt des Sprachenlernens derzeit im Rahmen eines großen Projekts, dem “BabyRhythm Project“, um unter anderem herauszufinden, was hinter manchen Sprachentwicklungsstörungen stecken könnte. Dabei haben sie bereits herausgefunden, dass Baby schon im Alter von zwei Monaten rhythmische Sprachaspekte verarbeiten. Wie gut sie das können, steht laut einer im August veröffentlichten Studie in Zusammenhang mit späteren Sprachfertigkeiten.

Gerüst für die Sprache

„Wir glauben, dass der Sprachrhythmus der Klebstoff ist, der die Entwicklung eines gut funktionierenden Sprachsystems unterstützt“, erklärt die Neurowissenschaftlerin in einer Aussendung. Die Rhythmik sei wie ein Gerüst, in das die Babys die phonetischen Informationen einbauen. So lernen sie beispielsweise das typische Muster englischer Wörter wie zum Beispiel bei „mummy“ oder „daddy“ mit Betonung auf der ersten Silbe. Anhand solcher Muster lasse sich etwa festmachen, wann ein Wort beginnt und wann es endet.

Alles, was diese Rhythmen verstärkt, z. B. Lieder oder Reime, ist daher für Babys hilfreich. Eltern sollten laut der Forscherin so viel wie möglich mit ihren Babys reden und ihnen Kinderlieder vorsingen. Da jede Sprache der Welt einen bestimmten Rhythmus hat, passiere das bei den meisten Menschen aber ohnehin automatisch: „Wir sind programmiert, das zu betonen, sobald wir mit Babys sprechen.“