Pferdekopfnebel im Sternbild Orion
Astronomie 2023

Europa hob ab

2023 ist für die Astronomie ein Jahr mit vielen Highlights gewesen, schreiben die Fachleute Julia Weratschnig und Stefan Wallner in einem Gastbeitrag. So starteten etwa gleich zwei europäische Raumsonden: „Juice“ wird die Eismonde des Jupiter untersuchen, „Euclid“ soll neue Erkenntnisse zu Dunkler Materie und Dunkler Energie liefern.

“Juice“ machte sich im April auf ihre lange Reise, welche erst 2031 enden wird: Dann schwenkt die Raumsonde in das Jupitersystem ein und wird die drei Eismonde Europa, Ganymed und Kallisto genau untersuchen. Der Start war gleichzeitig der vorletzte Start einer Ariane-5-Rakete, die 2023 ihre Erfolgsserie – über 95 Prozent aller Starts verliefen erfolgreich – einstellte. Erst 2024 soll mit Ariane 6 die Nachfolgerin ihren Jungfernflug abhalten.

Porträtfotos der Astronomen Julia Weratschnig und Stefan Wallner
Privat

Über Autorin und Autor

Julia Weratschnig ist Kuratorin für Astronomie am Haus der Natur Salzburg, Stefan Wallner Astronom an der Universität Wien.

Der Start wurde von der Europäischen Raumfahrtorganisation (ESA) genutzt, um auch eine breite Öffentlichkeit für die Wissenschaft zu begeistern: Ein Zeichenwettbewerb fand ebenso statt wie die Suche nach Cocktails, die vom Jupiter inspiriert waren – die Einträge findet man in einer beeindruckenden Rezeptsammlung auf den Webseiten der ESA. Diese Mission ist aber tatsächlich besonders faszinierend: Die drei Eismonde Jupiters beherbergen Ozeane unter ihren dicken Eiskrusten und gehören zu jenen Körpern im Sonnensystem, die als potenziell lebensfreundliche Umgebungen gelten.

Rendering vom Besuch der Jupiter-Sonde bei den Monden
ESA/NASA/JPL/ATG medialab/J. Nichols/University of Arizona/DLR
„Juice“ und Jupiter (künstlerische Darstellung)

Neues Teleskop

Nur ein paar Monate später machte sich mit „Euclid“ eine weitere wichtige Wissenschaftsmission auf den Weg: „Euclid“ ist ein Teleskop, das im optischen und nahen Infrarotbereich beobachtet. Es befindet sich am zweiten Lagrange-Punkt, demselben Ort, von dem aus auch das „James Webb"-Teleskop beobachtet.

Illustration der Vermessung des Universums durch „Euclid“
Illustration der Vermessung des Universums durch „Euclid“

Die Mission von „Euclid“ besteht vor allem darin, die Entwicklung von Galaxien und deren dreidimensionale Verteilung über ein Drittel des Himmels und in einer Entfernung bis zu zehn Milliarden Lichtjahren zu untersuchen. Sie soll damit einen wichtigen Beitrag zur Kosmologie liefern und unter anderem bei der Suche nach Dunkler Materie und Dunkler Energie, die wir nur über ihre Einflüsse auf die Bewegungen von Galaxien nachweisen können, helfen. Im November 2023 konnte „Euclid“ bereits die ersten Bilder liefern und ihre Arbeit aufnehmen.

Highlights von „James Webb“

Und was tat sich bei dem neuen Nachbarn von „Euclid“, dem „James Webb"-Teleskop, im Jahr 2023? Das Teleskop setzt seine Erfolgsgeschichte fort: mit spektakulären Aufnahmen aus unserem Sonnensystem, Exoplanetenatmosphären, weit entfernten Galaxien und Nachforschungen über Kosmologie.

In unserem Sonnensystem wurden zum Beispiel die Ringe von Chariklo untersucht, einem kleinen Asteroiden, der zu den Zentauren gehört und die Sonne zwischen Jupiter und Neptun umkreist, während der Asteroid einen Stern bedeckte. Aber auch die Ringe des Saturn waren das Ziel von Beobachtungen. Mit dem NIRcam Instrument, einer Infrarotkamera, entstand ein spektakuläres Bild des Ringplaneten: Während die Ringe sehr hell leuchten, ist der Planet selbst eher dunkel, da er weniger Infrarotlicht reflektiert. Auch Uranus mit seinem Ringsystem wurde von „Webb“ fotografiert.

Aufnahme von Saturn durch das „James Webb“-Teleskop
NASA, ESA, CSA, Matthew Tiscareno (SETI Institute), Matthew Hedman (University of Idaho), Maryame El Moutamid (Cornell University), Mark Showalter (SETI Institute), Leigh Fletcher (University of Leicester), Heidi Hammel (AURA)
Aufnahme von Saturn durch das „James Webb“-Teleskop

Bei einer Untersuchung der Atmosphäre des Exoplaneten „K2-18b“ wurde Methan und Kohlendioxid gefunden. Das deutet darauf hin, dass es sich bei diesem Planeten um einen „Hycean-Planeten“ handelt – etwas kleiner als Neptun, mit einer wasserstoffreichen, dichten Atmosphäre und einem tiefen Wasserozean.

Auch in der Kosmologie hat das „James Webb"-Teleskop wieder mitgemischt: Bei Beobachtungen wurden Daten des „Hubble"- Teleskops, die die Beschleunigung der Ausdehnung des Universums messen, nun bestätigt. Das vertieft allerdings eines der großen Rätsel der Kosmologie: Ausgehend von Messungen der Mikrowellenhintergrundstrahlung – quasi dem „Babyfoto“ unseres Universums – sollte sich das Universum nämlich langsamer ausdehnen, als es Messungen von „Hubble“ und jetzt auch des „Webb“-Teleskops ergeben.

Aber dieses Ergebnis zeigt wahrscheinlich am deutlichsten, weshalb es in der Astronomie spannend ist und sicher auch bleiben wird – oft bringt eine beantwortete Frage gleich eine ganze Reihe an neuen Fragen mit sich!

Rätselhafte Fragen nach Wasser und Leben

Wasser gilt als Grundvoraussetzung für Leben, sei es auf der Erde oder ganz woanders im weiten All. Daher ist es Ziel zahlreicher Beobachtungen, speziell im Bereich der Exoplanetenforschung. Bis heute nicht geklärt ist jedoch, wie überhaupt Wasser auf Planeten, wie auch unsere Erde, kommt, sind die Bedingungen rund um Sterne doch alles andere als „freundlich“ zu diesem. Nun konnten Beobachtungen und Analysen jedoch feststellen, dass Wasser in Sonnensystemen zu den frühesten Bestandteilen von Gesteinsplaneten gehören könnte und als gasförmige Bestandteile in den planetenbildenden Scheiben auftreten.

Künstlerische Darstellung der PDS 70-Scheibe
MPIA
Künstlerische Darstellung der Planetenscheibe „PDS 70“, wo Wasser entdeckt wurde

Untersuchungen mit dem „Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array“ („ALMA“) lassen gar darauf schließen, dass Wasser bereits Milliarden von Jahren vor der Sonne im interstellaren Raum entstanden sein könnte. Genauere Beobachtungen sollen in Zukunft den genauen Mechanismus dahinter klären. Klar ist, dass Planeten erst als lebensfreundlich eingestuft werden können, wenn Wasser in flüssiger Form auf dessen Oberfläche existiert, wie auch möglicherweise bei dem entdeckten Exoplaneten „Wolf 1069 b“. Mit nur 31 Lichtjahren Entfernung relativ erdnah gelegen gilt dieser als sechstnächster Exoplanet, der auch eine erdähnliche Masse aufweist und in der habitablen Zone um seinen Stern liegt. Klimamodelle des Objekts lassen ihn in eine kleine Gruppe von Exoplaneten einordnen, die potenzielle Ziele bei der Suche nach Biosignaturen oder chemischen Fingerabdrücken von Leben sind.

Neue Art ultramagnetischer Sterne

Dass eine Vielzahl an Sternentypen existieren, geht auf Entwicklungsphasen großer astronomischer Zeitskalen zurück. Während gar 90 Prozent aller Sterne harmonische Zwergsterne darstellen, wie auch unsere Sonne einer davon ist, so gibt es aber auch extreme Typen, die Fragen aufwerfen. Hierzu zählen auch Magnetare, die stärksten Magnete, die im Weltall vorkommen. Hierbei handelt es sich um ungemein dichte Sterne, die mit ihren ultrastarken Magnetfeldern einzigartig sind.

Ihre Entstehung ist immer noch nicht genau geklärt, jedoch können Beobachtungen des heliumreichen Sterns HD 45166 hier nun Abhilfe schaffen. Mit einem Magnetfeld etwa 100.000-mal stärker als das der Erde und der doppelten Masse unserer Sonne bildet dieser die Entdeckung einer neuen Gattung von Sternentyps, des ersten massereichen magnetischen Heliumsterns. Es ist davon auszugehen, dass der Stern in den nächsten Millionen Jahren zu einem Neutronenstern kollabieren wird, wobei sich die Stärke des Magnetfeldes vermilliardenfacht und innerhalb der Spanne für Magnetare liegt. Der Stern bietet also die Möglichkeit, offene Fragen rund um diese extremen Sterne und speziell dessen Herkunft zu lösen.

Roboter erobern den Weltraum

Raumfahrt ist eine teure Angelegenheit, und wenn Menschen involviert sind, so vervielfachen sich die Kosten gleich. Deshalb werden viele Himmelskörper von Robotern erkundet – der Mars zum Beispiel kann als der Planet angesehen werden, der überhaupt nur von Robotern bewohnt wird. Derzeit wird der rote Planet von etlichen Rovern, Orbitern, Landern und sogar einem Helikopter erforscht. Vor allem der kleine Helikopter „Ingenuity“ übertrifft dabei sämtliche Erwartungen. Eigentlich war „Ingenuity“ als ein Prototyp geplant, der austesten sollte, ob ein Helikopter auf dem Mars überhaupt fliegen kann. Seit dem ersten Flug im Jahr 2021 hat er nun insgesamt 68 Flüge erfolgreich durchgeführt. Er fliegt im Team mit dem Rover „Perseverance“ und erkundet ein ausgetrocknetes Flussdelta im Jezero-Krater.

Künstlerische Darstellung: Minihubschrauber Ingenuity
NASA/JPL-Caltech
Helikopter „Ingenuity“

„Perseverance“ hat 2023 seine Reise durch den Krater fortgesetzt, Bodenproben für eine zukünftige Mission vorbereitet und Gesteinsproben untersucht. Viele Fotos zeigen die atemberaubende Landschaft unseres Nachbarplaneten. Auch „Curiosity“ fährt noch immer – er erforscht den Gale-Krater -, während der Chinesische Rover „Zhurong“ aus seinem Winterschlaf leider nicht mehr „erwachte“.

Auch der Mond der Erde rückt nun wieder mehr ins Auge von Raumfahrtbehörden: 2023 gelang der indischen Raumfahrtagentur ISRO als erst vierter Nation überhaupt eine Landung mit einem Rover auf dem Mond. Gleichzeitig war “Chandrayaan-3“ auch die erste Mission, welche den Südpol erkundete. Der Rover konnte unter anderem das Vorkommen von Schwefel auf der Mondoberfläche bestätigen.

Material aus dem All

Am 24. September 2023 landete eine Kapsel in der Wüste von Utah, welche eine besondere Ladung mit sich führte: In der Kapsel eingeschlossen sind einige Gramm an Material, welches die Raumsonde „Osiris Rex“ 2020 vom Asteroiden Bennu eingesammelt hatte. Dieses Material ist 4.5 Milliarden Jahre alt und stammt noch aus den frühesten Anfängen unseres Sonnensystems!

Probe vom Asteroiden Bennu
AFP/OLIVIER DOULIERY
Material vom Asteroiden Bennu

Nach der Bergung der Kapsel wurde diese in einen Reinraum gebracht und mit speziell für diese Aufgabe gefertigten Werkzeugen unter sterilen Bedingungen geöffnet. Die Wissenschaftler erlebten dabei eine Überraschung: Auch außerhalb des eigentlichen Probenbehälters war Asteroidenmaterial, quasi ein „Bonus“. Dieses Material wurde bereits untersucht und enthält neben Kohlenstoff auch Wasser: Alle Bausteine für Leben sind also – wie es scheint – bereits in den Anfängen des Sonnensystems vorhanden gewesen. Bis zur endgültigen Untersuchung des gesammelten Materials im eigentlichen Probenbehälter wird es aber noch eine Zeit lang dauern. Die verschlossene Kapsel lässt sich derzeit noch nicht öffnen. Ingenieure bei der NASA suchen nach Wegen, in die Kapsel zu gelangen, ohne das darin befindliche Material zu beeinträchtigen. Übrigens: Die Raumsonde hat sich nach dem Abwurf der Kapsel wieder auf den Weg gemacht und soll im Jahr 2029 den Asteroiden Apophis besuchen.

Spektakel am österreichischen Nachthimmel

Auch 2023 blieben astronomische Schaustücke am Himmel über Österreich nicht aus und waren teils aufsehenerregend. Massiver Beobachtung und zahlreicher Fotos erfreuten sich Anfang November polarlichtähnliche Erscheinungen, die im gesamten Bundesgebiet sichtbar waren. Hierbei zum Großteil sichtbar waren „Stable Auroral Red Arcs“ („SAR Arcs“), die Veränderungen in der Hochatmosphäre ausgelöst durch Sonnenstürme deutlich machten, selbst aber streng genommen keine Polarlichter im eigentlichen Sinne sind.

Polarlichter in Österreich (hier im Burgenland)
APA/AZM/Michael Jäger
Künstlerische Darstellung des Extremely Large Telescope (ELT)

Andere Himmelsereignisse, die vielerorts verfolgt und abgelichtet wurden, waren u. a. eine Venusbedeckung durch den Mond im November, eine partielle Mondfinsternis im Oktober, der Perseiden-Meteorschauer im Sommer, eine enge scheinbare Annäherung am Himmel der Planeten Jupiter und Venus im März oder einige gut beobachtbare Kometen wie C/2022 E3 (ZTF) zum Jahresbeginn. Aber auch Skurriles konnte mit Ferngläsern oder Teleskopen beobachtet werden. So verloren zwei Astronautinnen der Internationalen Raumstation (ISS) bei einem Außeneinsatz eine Werkzeugtasche, die nun im Erdorbit weiter um unseren Planeten kreist, sogar mit eigener Satellitenkatalognummer. Bei guten Bedingungen ist sie immer noch sichtbar in der Nähe der ISS, driftet aber langsam von ihr weg und erschwert die unübliche Beobachtung.

Halbzeit beim Extremely Large Telescope

Mit dem Drang, immer ferner in das All zu blicken oder besonders lichtschwache Objekte zu erforschen, soll das Extremely Large Telescope (ELT) der Europäischen Südsternwarte (ESO) ab 2028 als weltweit größter Detektor genau dazu dienen. Mit einem Hauptspiegel von über 39 Meter Durchmesser und 798 Segmenten soll es bahnbrechende Entdeckungen im Bereich des sichtbaren Lichts sowie der Infrarotstrahlung ermöglichen.

Künstlerische Darstellung des Extremely Large Telescope (ELT)
European Southern Observatory (ESO)
Künstlerische Darstellung des Extremely Large Telescope (ELT)

An seinem Standort in der chilenischen Atacama-Wüste konnte nun ein wichtiger Meilenstein gefeiert werden. Im Sommer 2023 konnte hier nämlich die Fertigstellung von 50 Prozent überschritten werden, der Bau ist also bei seiner Halbzeit angelangt. Bereits seit neun Jahren im Aufbau soll die zweite Hälfte deutlich schneller abgeschlossen werden können und zuversichtlich 2028 in den wissenschaftlichen Betrieb gehen. Beobachtungsziele sind dann die ersten Sterne und Galaxien nach dem Urknall, die Frage nach Dunkler Materie und Dunkler Energie, die Universalität physikalischer Konzepte und Gesetze im Weltall und vieles mehr, auf das wir uns nur freuen können.