Weizenkleie, Ballaststoffe, Lebensmittel, Ernährung
Moving Moment – stock.adobe.com
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Studie

Menschen können doch Zellulose verdauen

Zellulose hat bisher als vom Menschen unverdaulicher Ballaststoff gegolten. Ein internationales Forschungsteam entdeckte nun bisher unbekannte Bakterien im menschlichen Darm, die die Verdauung von Zellulose möglich machen. Vor allem in industrialisierten Ländern sind diese aber nur noch sehr selten in der Darmflora vorhanden.

Die Zellwände von Pflanzen bestehen hauptsächlich aus Zellulose. Kühe und andere Wiederkäuer können diese organischen Verbindungen aufspalten und Energie daraus gewinnen – bei Menschen ist man bisher aber davon ausgegangen, dass die dafür nötigen Enzyme in der Darmflora fehlen.

Zellulose zählt daher eigentlich zu den unverdaulichen Ballaststoffen. Wenn Menschen zu viel davon über pflanzliche Lebensmittel, beispielsweise über Weizenkleie oder Leinsamen, zu sich nehmen, kann das auch unangenehme Folgen haben. „Die meisten Menschen erleben dann Bauchschmerzen, Blähungen oder Verstopfung“, erklärt der Mikrobiologe Itzhak Mizrahi von der Ben-Gurion-Universität des Negev in Israel gegenüber science.ORF.at.

Unbekannte Bakterien entdeckt

Laut dem israelischen Forscher liegt das aber nicht daran, dass es im menschlichen Darm gar keine Bakterien zur Spaltung der Zellulose gibt. „Wir kennen aus früheren Untersuchungen anderer Forschungsteams bereits eine einzige Bakterienart, die im menschlichen Darm vorkommt und die Zellulose aufspalten kann“, so Mizrahi. Der Grund für die eventuellen Bauchschmerzen nach zu viel pflanzlicher Nahrung liege daher vielmehr darin, dass Menschen mittlerweile einfach zu wenige dieser Bakterien in sich tragen.

Darauf deuten auch die Ergebnisse der Studie hin, die ein internationales Team um Mizrahi und die Mikrobiologin Sarah Morais in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals „Science“ veröffentlichte. Die Forscherinnen und Forscher konnten darin drei weitere Bakteriengruppen im menschlichen Darm entdecken, die beim Kontakt mit pflanzlichem Material Zellulasen produzieren. Diese Enzyme sind dazu in der Lage, die Zellulose der Pflanzen aufzuspalten. „Die in unserer Untersuchung entdeckten Bakterien waren davor noch komplett unbekannt“, so Mizrahi.

Moderner Lebensstil senkt Bakterienvielfalt

Im Rahmen der Studie untersuchte das Team über 92.000 menschliche Metagenome. Dabei handelt es sich um die Gesamtheit der Erbgutinformationen aller Mikroorganismen aus einer bestimmten Lebensgemeinschaft. Die Forscherinnen und Forscher fanden dabei dieselben drei Bakterienarten in mehreren Proben. Wie groß die Prävalenz war, also wie viele Personen die Bakterien tatsächlich in sich trugen, unterschied sich bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen jedoch stark.

Über vierzig Prozent der Menschen, die vor ein- bis zweitausend Jahren lebten, hatten laut den Studienergebnissen dementsprechende Bakterien im Darm. Das zeigte die Analyse von ein paar immer noch erhaltenen Fäkalien aus dieser Zeit. Bei modernen Jäger- und Sammlerkulturen und sehr naturverbundenen Bevölkerungsgruppen konnte das Team die Bakterien hingegen nur noch in rund zwanzig Prozent der Menschen nachweisen.

Am geringsten war die Prävalenz bei jenen Menschen, die in industrialisierten Ländern leben. Bei ihnen trugen nur noch weniger als fünf Prozent die Bakterien im Darm. „Das liegt wahrscheinlich vor allem an dem modernen Lebensstil und dem Speiseplan dieser Menschen“, so Mizrahi. Stark verarbeitete Burger und Co. ersetzten pflanzliche und sehr ballaststoffreiche Speisen, was die Bakterien im Laufe der Zeit wahrscheinlich immer unwichtiger machte und verschwinden ließ.

Unbekannter Ursprung

Woher die Bakterien ursprünglich kommen, ist unklar. Laut Mizrahi gibt es dafür zwei plausible Erklärungen: „Entweder es hatten schon unsere Vorfahren solche Bakterien im Darm, oder wir haben sie irgendwann im Laufe der Evolution von Kühen oder anderen Wiederkäuern erhalten.“

Ersteres sei denkbar, da laut den Studienergebnissen auch bestimmte Menschenaffen die Bakterien in sich tragen. Andererseits gleichen die Bakterien aber auch jenen Mikroorganismen stark, die normalerweise im Verdauungstrakt von Kühen zu finden sind. Im Laufe der Evolution könnten sich die Bakterien also auch nach und nach an das Überleben im menschlichen Darm angepasst haben. „Um den genauen Ursprung zu klären, sind noch weitere Untersuchungen nötig.“

Vorteile für die Gesundheit

Dass die neu entdeckten Bakterien überhaupt dazu in der Lage sind, in der menschlichen Darmflora zu überleben, sei jedenfalls eine gute Nachricht. „Das bedeutet, dass man sie zum Beispiel mit Hilfe von Probiotika erneut in die Darmflora einführen kann“, so Mizrahi.

Jenen Menschen, denen die Bakterien komplett fehlen, könnte das helfen, pflanzliche Nahrung besser zu verdauen und mehr Energie daraus zu gewinnen. Die aus dem verdauten Pflanzenmaterial entstehenden Verbindungen tragen unter anderem auch zur Regulierung des Blutzuckers bei und könnten sogar vor bestimmten Krebserkrankungen schützen.