Strategie

Mäuse lernen wie Babys aus Fehlern

Wenn Babys und Kleinkinder die Welt entdecken, sind Irrtümer für den Erkenntnisfortschritt oft besonders nützlich. Experimente legen nun nahe, dass Mäuse wohl ganz ähnliche Lernstrategien verwenden: Sie machen laut Forschern manchmal absichtlich etwas falsch.

Schon Babys und Kleinkinder erkunden spielerisch ihre Umgebung, etwa indem sie ein Mobile bewegen oder immer wieder Spielzeug aus dem Kinderwagen werfen. Solche „Experimente“ helfen ihnen zu verstehen, wie Dinge zusammenhängen und wie die Welt insgesamt funktioniert. Unter anderem gehen sie dabei nach dem Prinzip „Trial and Error“ („Versuch und Irrtum“) vor. Das heißt, sie probieren neue Verhaltensweisen aus, um zu sehen, was zum Erfolg führt und womit sie scheitern. So entwickeln sich stetig neue Fähigkeiten und Fertigkeiten.

Die Vorgehensweise ist dabei weitaus weniger zufällig, als sie auf den ersten Blick erscheinen mag, sondern oft sehr strategisch, wie Ziyi Zhu und Kishore V. Kuchibhotla von der Johns Hopkins University in ihrer soeben im Fachmagazin „Current Biology“ erschienenen Studie ausführen: Auch Fehler werden dabei ganz gezielt eingesetzt – denn wenn man schneller erkennt, was nicht funktioniert, mache das den Lernprozess insgesamt effizienter.

Vermeintliche Leistungsschwäche

Das „Trial and Error“-Prinzip verwenden auch viele Säugetiere, etwa Menschenaffen und Hunde. Mit Hilfe von Belohnungen lassen sich auf diese Weise neue Fertigkeiten trainieren. Laut den beiden US-Forschern funktioniert das sogar bei Nagetieren. Allerdings habe es bei derartigen Experimenten oft den Anschein, dass die Tiere manchmal schlechter abschneiden beziehungsweise mehr Fehler machen, als das nach dem Training eigentlich der Fall sein sollte, erklärt Kuchibhotla in einer Aussendung. Der Neurowissenschaftler forscht schon viele Jahre zu Mäusen, Ratten und Frettchen.

Das liege unter anderem an den Belohnungen: Wie er und sein Team schon vor fünf Jahren im Fachmagazin „Nature Communications“ berichteten, können solche externen Anreize mitunter die wahre Leistungsfähigkeit der Nager maskieren. Vermutlich stecke hinter der Diskrepanz zwischen Performance und Training keine Leistungsschwäche, sondern sie sei vielmehr ein Indiz für die höheren Fähigkeiten: D. h., womöglich machen die Versuchstiere – ähnlich wie Babys – ab und zu gezielte Fehler, um ihre Hypothesen zu testen.

Absichtliche Fehler

Neue Experimente mit Mäusen sollten diese Vermutung nun verifizieren. Bei der Versuchsanordnung mussten die Tiere ein Rad nach links oder rechts drehen, je nachdem, aus welcher Richtung ein Ton kam, den sie hörten. War die Bewegung korrekt, erhielten sie eine flüssige Belohnung.

Versuchsanordnung für lernende Mäuse
Johns Hopkins University
Die Versuchsanordnung

Im Lauf der Wiederholungen wurden die Mäuse immer besser, dennoch machten sie auch immer wieder kleine Fehler und drehten das Rad ganz kurz in die falsche Richtung, bevor sie die richtige Seite wählten. „Wir stellten fest, dass Tiere beim Erkunden anscheinend eine ganz simple Strategie verfolgen“, erklärt Kuchibhotla in der Aussendung: Sie drehen das Rad ganz kurz in die falsche Richtung, um zu überprüfen, was dann passiert. Offenbar handle es sich dabei um absichtliche Fehler, die neue Einsichten bringen sollen.

Enttäuschte Erwartungen

Weitere Versuchsreihen stützen diese Schlussfolgerung. Dabei wurde die Belohnung zwischendurch weggelassen. Das ließ die Leistung der Tiere augenblicklich einbrechen und sie probierten einmal diese, einmal die andere Richtung. Laut den Forschern haben die Mäuse offensichtlich eine innere Vorstellung der Aufgabe. Wenn die Belohnung wegfällt, werden die Erwartungen aber verletzt.

Das Tier denke sich wohl „Ich dachte, ich werde belohnt. Wenn das nicht der Fall ist, muss ich überprüfen, ob mein Wissen noch korrekt ist“, beschreibt Kuchibhotla den Gemütszustand der tierischen Probanden. „Wenn wir ihre Erwartungen enttäuschen, ändern sie kurzerhand ihre Strategie.“ Wenn es in der nächsten Runde wieder Belohnungen gab, fanden die Tiere schnell wieder zu ihrer erlernten Leistung zurück – was zeige, dass sie tatsächlich nachhaltig begriffen haben, wie die Aufgabe zu lösen ist.

Laut den Forschern kann man die Nagetiere mit Babys beim Lernen vergleichen. Beide seien höchst explorativ und testen Vermutungen auf mehreren Wegen. Auch die Experimente hatten Kuchibhotla zufolge große Ähnlichkeiten: Er fühlte sich wie ein „Mäusepsychologe“, der herausfinden möchte, was in den kleinen Köpfen eigentlich vorgeht.