Mann blickt aus dem Fenster eines Zugs in den Wald
APA/dpa/Karl-Josef Hildenbrand
APA/dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Laut Studie „nur minimale“ psychische Folgen

Die Coronavirus-Pandemie und die Maßnahmen dagegen haben „nur minimale“ Folgen für die psychische Gesundheit der meisten Menschen gehabt. Das zeigt die nach Eigenangaben bisher umfangreichste Überblicksarbeit zu dem Thema weltweit – die allerdings größtenteils Daten aus dem ersten Pandemiejahr ausgewertet hat. Zumindest bei Suiziden war die Situation außerdem nicht so eindeutig.

Ein Team um den Gesundheitspsychologen Brett Thombs von der kanadischen McGill Universität durchforstete die Literaturdatenbanken und wählte 137 Studien für eine Metaanalyse aus – darunter keine mit Bezug zu Österreich. Die Kriterien dafür waren besonders streng, wie die Forscherinnen und Forscher im „British Medical Journal“ betonen: Eingeflossen sind keine Daten zu bestimmten Personengruppen (Kohorten), die nur an einem Zeitpunkt erhoben wurden, sondern nur solche, die einen direkten Vergleich zwischen der Zeit vor und während der Pandemie ermöglichen.

Konkret handelte es sich um Daten, die bis zu zwei Jahre vor Beginn der Pandemie, zum Jahreswechsel 2019/20, erhoben wurden und im Jahr danach – über längerfristige Trends oder die Situation heute kann sie daher keine Aussagen machen.

2020: „Widerstandsfähiger als angenommen“

Auf diese Weise kamen Vergleichswerte zu 134 Kohorten zusammen. Die wichtigste betrifft die Kohorte „Allgemeinbevölkerung“ mit Daten von rund 30.000 Personen. Bei ihnen verschlechterten sich laut Thombs und seinem Team die Werte im ersten Pandemiejahr nicht – weder die allgemeine psychische Gesundheit noch Depressions- oder Angstsymptome. Das betraf auch Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 19 Jahren, ein Viertel der Studien hatte sich ihnen gewidmet.

Ein wenig depressiver wurden ältere Personen, Studenten und Studentinnen sowie Menschen, die sich selbst zu einer sexuellen Minderheit zählten. In der Kohorte „Eltern“ verschlechterten sich die allgemeinen psychischen Gesundheits- und Angstsymptome, diese Ergebnisse beruhen aber auf einer nur kleinen Anzahl von Studien.

Insgesamt zeigten sich kaum Veränderungen durch Corona und Gegenmaßnahmen im ersten Pandemiejahr, betonen die Fachleute. „Unsere Studie ist bei weitem die bisher umfangreichste zur mentalen Gesundheit während Covid-19 weltweit“, sagt die Erstautorin Ying Sun vom Lady Davis Institut in Montreal. „Sie zeigt auch, dass die Menschen generell viel widerstandsfähiger waren als das oft angenommen wurde.“

Bei Frauen etwas anders

Ein wenig gegen den allgemeinen Trend sind die Ergebnisse bei Frauen, die von einer minimalen Verschlechterung von Symptomen berichteten, sowohl bei Angstzuständen und Depressionen als auch bei der allgemeinen psychischen Gesundheit. Dies könnte auf ihre vielfältigen familiären Verpflichtungen, die Arbeit im Gesundheitswesen und in der Altenpflege sowie in einigen Fällen auf familiäre Gewalt in der Pandemie zurückzuführen sein, mutmaßen die Autoren und Autorinnen.

„Dies ist beunruhigend und deutet darauf hin, dass einige Frauen Veränderungen in ihrer psychischen Gesundheit erlebt haben und kontinuierlichen Zugang zu psychischer Unterstützung benötigen“, sagte Danielle Rice, Studienkoautorin und Psychologin an der kanadischen McMaster University.

Suizide: Erst Rückgang …

Die allgemeine Aussage der aktuellen Übersichtsarbeit stehe im Einklang mit der größten Studie über Suizide während der Pandemie, berichten die Fachleute. Diese enthielt monatliche Daten aus offiziellen Regierungsquellen zu Suizidfällen aus 21 Ländern zwischen dem 1. Jänner 2019 oder früher und dem 31. Juli 2020 und fand keine Hinweise auf statistisch signifikante Anstiege – im Gegenteil: In zwölf Ländern oder Regionen verringerte sich in dem Zeitraum die Anzahl an Suiziden.

… dann Anstieg

Diese Beobachtung aus dem ersten Pandemiehalbjahr steht aber in Widerspruch zum weiteren Trend. Einen verzögerten Effekt hin zu mehr Suiziden in Österreich zeigte etwa die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage im November 2022, über die die „Salzburger Nachrichten“ berichteten. Demnach begingen im Jahr 2016 511 Männer und Frauen über 65 Jahren Suizid, 2021 – im zweiten Pandemiejahr – waren es 577. Der Trend habe auch im vergangenen Jahr angehalten, heißt es aus Gesundheit Österreich. Aus der Forschung sei bekannt, dass Menschen in Krisen ihre Probleme vorerst auf die allgemeine Situation zurückführen. Danach – etwa durch weniger Lockdowns – würde sich das wieder ändern.

Dass sich mit Fortlauf der Pandemie auch die Anzahl von Suizidversuchen erhöhte, zeigt auch eine neue Studie, die Freitagfrüh in der Fachzeitschrift „The Lancet Psychiatry“ erscheint. Sie hat Daten zu Millionen von Kindern bis 18 Jahren in 18 Ländern untersucht, die bis Ende 2022 Hilfe in psychologischen Notfallabteilungen gesucht haben. Die Anzahl jener, die wegen Suizidversuchen kamen, ist demnach im Vergleich zu vor der Pandemie um 22 Prozent gestiegen.