Forscherin am Mikroskop
StockPhotoPro/stock.adobe.com
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Umwelt-DNA

Menschlicher „Beifang“ sorgt für Bedenken

Mit Wasser-, Luft- und Bodenproben ist es möglich, große Datenmengen zu unterschiedlichen Lebewesen und ganzen Ökosystemen zu sammeln. In den Umweltproben findet sich aber oft auch genetischer „Beifang“ in Form von menschlichem Erbgut, was ethische Bedenken über die Verwendung der Daten und Forderungen nach klaren Regeln mit sich bringt.

Alle Lebewesen hinterlassen in ihrer Umgebung kleine DNA-Spuren. Für die Wissenschaft ist die Forschung mit dieser Umwelt-DNA (auch „eDNA“ vom englischen „environmental DNA") besonders relevant, weil sie zahlreiche neue Ansätze und die Analyse großer Datenmengen aus wenigen und vor allem kostengünstigen Umweltproben ermöglicht.

In der Biologie ist man mit Hilfe der Umwelt-DNA unter anderem dazu in der Lage, ganze Ökosysteme im Auge zu behalten und auch Daten von eher schwer zugänglichen Tierarten zu sammeln – zum Beispiel im von der Universität Innsbruck koordinierten Projekt “eWhale“. Forscherinnen und Forscher suchen dabei in Wasserproben nach Informationen über die europäischen Walpopulationen, was den effektiveren Schutz ihrer Lebensräume ermöglichen soll.

Weniger Eingriffe in die Natur

Die Vorteile der Forschung mit Umwelt-DNA liegen laut Expertinnen und Experten auf der Hand. „Es ist eine sehr effiziente Methode an große Datenmengen zu kommen und vor allem ist es auch ein nicht-invasiver Forschungsansatz. Wir müssen die Tiere also nicht mehr aufsammeln und stören, sondern wir können unsere Untersuchungen mit möglichst wenigen Eingriffen in die Umwelt durchführen“, erklärt die Biologin Tamara Schenekar von der Universität Graz gegenüber science.ORF.at.

Schenekar war selbst an mehreren Projekten beteiligt, in denen sie Erbgut aus Umweltproben analysierte – darunter etwa Untersuchungen der österreichischen Fischbiodiversität in Fließgewässern und auch die Suche nach einer seltenen Eintagsfliege im Balkangebiet. Derzeit erforscht die Biologin anhand von Umweltproben, welche Tiere bestimmte Wasserlöcher in Südafrika aufsuchen. In Zukunft könnte das zu einem besseren Monitoring der südafrikanischen Ökosysteme beitragen und Naturschutzbemühungen vorantreiben.

Menschliches Erbgut ebenfalls enthalten

Möglich sind derartige Projekte vor allem durch den technischen Fortschritt der vergangenen Jahre, der es Forscherinnen und Forschern erlaubt, einzelne DNA-Sequenzen in den Umweltproben zu analysieren und daraus immer genauere Informationen über ihre Urheber zu gewinnen.

Genau deshalb sorgt der Ansatz aber auch für ethische und rechtliche Bedenken. „Das Problem ist, dass wir in vielen Bereichen der Forschung aufgrund der sich verbessernden genetischen Analysemethoden heute auch DNA-Materialien feststellen können, die menschliche Quellen haben“, erklärt die Politikwissenschaftlerin Barbara Prainsack gegenüber science.ORF.at. Die DNA-Spuren von Menschen stehen zwar meist nicht im Zentrum der Forschungsarbeiten und sind für das eigentliche Ziel der Untersuchung oft sogar hinderlich, trotzdem braucht es laut Prainsack aber klare Regeln, wie Forscherinnen und Forscher mit diesem menschlichen Beifang umgehen sollen.

Kaum Rückschlüsse möglich

Eine potenzielle Gefahr bei der Forschung mit Umwelt-DNA sieht die Politikwissenschaftlerin etwa darin, dass man mit dem menschlichen Erbgut einzelne Individuen identifizieren könnte – ohne die Zustimmung der jeweiligen Person. Theoretisch sei das bereits möglich – in der Praxis ist die Sorge laut Schenekar aber derzeit eher unbegründet, da die Identifizierung einer konkreten Person bisher nur in äußerst seltenen Ausnahmefällen möglich war. „Momentan sind wir schon noch davon entfernt, dass wir wirklich sagen können: Dieses Individuum war genau an diesem Ort. Weil die DNA aus einer echten Umweltprobe ist meistens eine Mischung aus mehreren Individuen und da tun wir uns derzeit noch sehr schwer, wirklich einzelne Tiere oder auch Personen eindeutig zu identifizieren“, so die Biologin.

Um eine DNA-Spur eindeutig einer Person zuordnen zu können, brauche es noch umfangreiche Referenzdatenbanken voller Informationen, die vorab konkret von dem bestimmten Individuum gesammelt wurden. „Ohne Referenzdatenbank sind derzeit eher nur generelle Aussagen über ganze Ökosysteme oder die darin vorkommenden Arten möglich“, so Schenekar. In einem Fluss könne man ohne vergleichbare Daten etwa die Anzahl der unterschiedlichen Fischarten bestimmen, nicht aber, von welcher Forelle eine bestimmte DNA-Sequenz stammt. Mit dem Fortschritt der Technik wird sich das in Zukunft aber wahrscheinlich ändern und das Bestimmen einzelner Individuen könnte auch ohne umfangreiche Vergleichsdatenbanken möglich werden.

Rechtliche Lage unklar

Sobald ein Forschungsteam darauf abzielt Menschen zu analysieren, gibt es laut Prainsack bereits klar geltende Gesetze. „Wenn es sich um auf irgendeine Weise identifizierbare Personen und personenbezogene Daten handelt, tritt die Datenschutz-Grundverordnung (DSVGO) in Kraft.“ Die Probandinnen und Probanden müssen der Untersuchung zustimmen und die Forscher dürfen besonders sensible Daten nicht veröffentlichen.

Bei Forschung mit Umwelt-DNA ist die rechtliche Lage jedoch weit unklarer. Fraglich ist etwa, ab wann es sich bei dem menschlichen DNA-Beifang um personenbezogene Daten handelt. „Diese Entscheidung, ob etwas personenbezogene Daten sind oder nicht, die ist in der Praxis sehr schwer zu treffen. Es gibt viele Fälle, wo es theoretisch möglich wäre, bestimmte Daten einer Person zuzuordnen, diese aber noch nicht zugeordnet sind“, so Prainsack. Bei derartigen Fällen sei es für die Forschungsteams meist schwer zu verstehen, welchen Regeln sie folgen müssen.

Klare Richtlinien nötig

Laut der Politikwissenschaftlerin ist aber auch klar, dass sich die meisten Wissenschaftler nicht auch noch zu Datenschutzexperten weiterbilden können. Ein wichtiger Schritt wäre daher die Erarbeitung klarer Richtlinien. „Man braucht früher oder später bindende Regeln und hier habe ich großes Vertrauen darauf, dass die meisten Forscherinnen und Forscher die Dinge richtig machen wollen und sich an ein Regelwerk, das sie auch unterstützt, halten werden.“ Nationale Gesetzgeber seien dazu ebenso aufgefordert wie einzelne Institutionen.

Transparenz oder Datenschutz?

Klarere Richtlinien wünscht sich auch Schenekar. Transparenz ist ein wichtiger Bestandteil ihres Berufs. „Als Forscherinnen und Forscher sind wir zum Teil verpflichtet, unsere Daten im Rohzustand auf öffentliche Plattformen hochzuladen, damit die Analysen, die wir durchgeführt haben, nachvollziehbar sind.“ Wenn die Daten auch menschliches Erbgut enthalten, das in Zukunft vielleicht einer bestimmten Person zugeordnet werden könnte, bestehe ein Konflikt mit der DSGVO. Es sei demnach unklar, ab wann die Datenschutzregeln bei der Forschung mit Umwelt-DNA tatsächlich in Kraft treten und wie Forschungsteams weiterhin ethisch korrekt, aber gleichzeitig auch transparent arbeiten sollen.

Bereiche kaum voneinander trennbar

Laut Prainsack gilt es auch, Forschungsteams in ihren Vorhaben nicht zu sehr zu behindern. „Was in meinen Augen nicht sein kann ist, dass jede Form der Forschung, die unter Umständen auch menschliche DNA mit sich bringt, davor alle möglichen Zustimmungsverfahren durchlaufen muss – dann könnte diese Forschung ja überhaupt nicht mehr voranschreiten.“

Es brauche daher Richtwerte, um klar festzulegen, welche Forschungsvorhaben mit den menschlichen Umweltdaten arbeiten dürfen und welche nicht. Die derzeitige gesetzliche Zweiteilung zwischen „Forschung am Menschen“ und „Forschung ohne Menschen“ ist laut Prainsack nicht mehr zeitgemäß – zumindest nicht bei Untersuchungen mit Umwelt-DNA. „Diese beiden Bereiche lassen sich einfach immer schwerer voneinander trennen.“

Aufteilung in drei Bereiche denkbar

Als möglichen Lösungsansatz schlägt die Politikwissenschaftlerin eine gesetzliche Aufteilung in drei Untersuchungsarten vor. Einerseits Studien, in denen die Forscherinnen und Forscher nicht davon ausgehen müssen, große Mengen an menschlicher DNA in den Umweltproben zu finden. Etwa, weil die Untersuchungsgebiete abseits der Zivilisation liegen. Sollte es doch dazu kommen, schlägt Prainsack vor, die Daten über die menschliche DNA zu vernichten und keine Informationen darüber zu publizieren.

Bei der zweiten Untersuchungsart geht es um Studien, die zwar nichts über Menschen herausfinden wollen, die aber in Gebieten stattfinden, wo viel menschliche DNA in der Umwelt zu finden ist. „Zum Beispiel bei Badeseen oder an stark besuchten Stränden“, so Prainsack. Hier müssten bereits ein paar Gesetze und Richtlinien der DSGVO in Kraft treten, um besonders sensible Daten der Personen zu schützen.

Die meisten Gesetze und Richtlinien seien aber bei der dritten Untersuchungsart nötig. „Wenn ich sogar darauf abziele, in den Umweltproben menschliche DNA zu finden und weiterzuverwenden, fällt das ganz klar in den Bereich ‚Forschung am Menschen‘ und muss streng reguliert werden“, erklärt Prainsack.

Missbrauch verhindern, Vertrauen stärken

Auch wenn es heute noch sehr unwahrscheinlich ist, dass mit den Umwelt-Daten einzelne Personen identifiziert werden, müsse die Bevölkerung schon jetzt vor der missbräuchlichen Nutzung sensibler Daten geschützt werden. „Es gilt hier frühzeitig aktiv zu werden und ein Regelwerk zu schaffen, damit sich die Bevölkerung nicht fürchten muss“, so Prainsack. Das könnte in weiterer Folge auch das allgemeine Vertrauen in die Wissenschaft stärken.