Eichhörnchen, Stadt, Urbaner Raum, Wildtiere, Tiere
Tobias Arhelger – stock.adobe.com
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USA

Gentrifizierung lockt Wildtiere in Städte

Wie sich Gentrifizierung auf die Artenvielfalt von Wildtieren auswirkt, hat ein Forschungsteam anhand von 23 Großstädten in den USA untersucht. Das Ergebnis: In aufgewerteten Stadtteilen leben mehr Eichhörnchen, Füchse und andere wilde Tiere. Umgekehrt heißt das auch, dass Menschen in sozial benachteiligten Vierteln weniger Natur vor der Haustüre haben.

Wenn Stadtteile hipper werden, siedeln sich Lokale und Geschäfte an, Häuser werden renoviert, Mieten steigen – und Einwohnerinnen und Einwohner werden in andere Stadtteile verdrängt, weil sie sich ihre Wohnung nicht mehr leisten können. Zu erkennen ist der Grad der Gentrifizierung einer Nachbarschaft auch an den zu Wohnungen mit Terassen ausgebauten Dachböden.

Einen unerwarteten und bisher kaum beleuchteten Aspekt dieser Entwicklung haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den USA untersucht, nämlich die Auswirkungen auf die Artenvielfalt. In einer Studie, die nun im Fachjournal „PNAS“ erschienen ist, kommen sie zu dem Ergebnis, dass durch Gentrifizierung deutlich mehr Wildtiere Lebensraum mitten in der Stadt finden. Das liege daran, dass im Zuge der Aufwertung eines Viertels oft Grünflächen wie kleine Parks und Gärten angelegt werden – und diese bieten großen und kleinen Tierarten eine Pause vom Stadtleben.

Eichhörnchen, Rehe, Füchse

Um das Vorkommen von wilden Tieren zu beobachten, stellte das Forschungsteam Kameras mit Bewegungsmeldern an 999 Standorten in 23 US-Städten auf – von Los Angeles über Chicago bis Boston. Die Untersuchung wurde von 2019 bis 2021 durchgeführt und vom Urban Wildlife Institute (UWI) des Lincoln Park Zoo in Chicago geleitet. Auf den Aufnahmen zeigten sich 21 verschiedene Wildtierarten, darunter Eichhörnchen, Rehe, Füchse, Luchse und Biber.

Fuchs, Stadt, Urbaner Raum, Wildtiere, Tiere
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Ein Fuchs in der Stadt

Die Analyse zeigte einen Zusammenhang zwischen Gentrifizierung und einem höheren Vorkommen an wilden Tieren: Durchschnittlich lebten in aufgewerteten Vierteln um 13 Prozent mehr verschiedene Arten als in vergleichbaren, nicht gentrifizierten Teilen derselben Stadt. Das bedeute auch, dass die Menschen, die in diesen Stadtteilen leben, öfter mit der städtischen Tierwelt in Berührung kommen, ohne sie aktiv suchen zu müssen, so das Forschungsteam.

Gentrifizierung sei nicht der einzige Faktor, der sich auf die Artenvielfalt in Städten auswirkt. Den größten Einfluss hat laut der Studie die Bodenversiegelung: In einem modernisierten, gentrifizierten Viertel leben immer noch weniger Wildtiere als in einem nicht gentrifizierten Viertel mit weniger versiegelten Flächen.

Zugang zur Natur als soziale Frage

„Wer hat in einer Stadt einfachen Zugang zur Natur und wer nicht?“, das sei laut Mason Fidino die zentrale Frage für die Forschung gewesen. Fidino ist Ökologe im Lincoln Park Zoo und Hauptautor der Studie. „Dabei haben wir festgestellt, dass die Gentrifizierung, die die demografische Zusammensetzung der Menschen in den Stadtvierteln verändert, auch Auswirkungen auf andere Arten hat, mit denen wir die Städte teilen.“

Dass sozial benachteiligte Menschen weniger Zugang zu städtischer Natur haben als wohlhabendere sei „ein Problem“, so Fidino in einer Aussendung. Er hoffe, dass die Forschungsergebnisse dazu beitragen, soziale Gerechtigkeit und den Zugang zu Naturräumen für alle Bewohnerinnen und Bewohner einer Stadt in den Vordergrund zu stellen. Umweltgerechtigkeit müsse auch in der Stadtplanung berücksichtigt werden.

Schlagwort für soziale Ungleichheit

Vor allem in den USA ist „Umweltgerechtigkeit“ (environmental justice) ein gängiger Begriff dafür, dass sozial benachteiligte Menschen beispielsweise öfter von Umweltbelastungen durch Fabriken und Mülldeponien betroffen sind. Der Begriff „Gentrifizierung“ wiederum ist in den vergangenen Jahren zum Schlagwort für soziale Ungleichheit geworden. Die Studie des Teams um Fidino behandelte nur Städte in den USA, auch in europäischen Hauptstädten ist Gentrifizierung aber seit vielen Jahren ein vieldiskutiertes Thema.

Im Gegensatz zu London und Berlin hält sich die Entwicklung in Wien laut einer Studie der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) aus dem Jahr 2021 in Grenzen. Es gebe nur einige stark betroffene Grätzel – mehr dazu in wien.ORF.at.