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Psychische Erkrankungen

Wie Sport bei Depressionen helfen kann

Dass Sport nicht nur das körperliche, sondern auch das psychische Wohlbefinden verbessern kann, ist wissenschaftlich vielfach belegt. Eine großangelegte Studie deutet nun aber sogar darauf hin, dass Sport bei Depressionen eine ähnliche Wirkung wie Medikamente und Psychotherapie haben kann. Mit dem Ratschlag, „Beweg dich doch einfach, dann geht’s dir besser“, ist es aber nicht getan.

Psychopharmaka und Psychotherapie – das sind die Mittel der ersten Wahl bei Depressionen. Diese beiden Behandlungsmöglichkeiten weisen laut „Depressionsbericht Österreich“ in der Akuttherapie „eine ähnlich moderate Wirkstärke auf“. Sport und Bewegung wird lediglich als unterstützende Ergänzung angeführt. Die Metaanalyse, die kürzlich im „British Journal of Sports Medicine“ veröffentlicht wurde, ergab nun aber, dass sich die Symptome von Depressionen alleine durch körperliche Aktivität verringern lassen.

Das Forschungsteam um Ben Singh von der University of South Australia in Adelaide bezeichnet Sport und Bewegung in der Studie als eine der Hauptstützen in der Behandlung von Depressionen. 97 Übersichtsarbeiten, die 1.039 Studien mit insgesamt 128.119 Teilnehmerinnen und Teilnehmern einschlossen, wurden für die Analyse herangezogen. Die Symptome von Depressionen reduzierten sich durch körperliche Aktivität demnach durchschnittlich um 43 Prozent, Angstzustände um 42 Prozent und allgemeine Stresssymptome um 66 Prozent.

Die Ergebnisse der Studie könnten laut dem Forschungsteam weitreichende Auswirkungen haben: Wenn Sport und Bewegung ebenso wirksam wie Psychotherapie und Medikamente seien, könnten sie ebenso als Mittel erster Wahl für Menschen mit Depressionen und Angstzuständen eingesetzt werden, so die Studienautorinnen und -autoren.

„Im Einzelfall entscheiden“

„Therapie mit Sport und Bewegung wird wahrscheinlich nur bei bestimmten Subtypen gut wirken – genauso wie es auch bei Medikamenten ist“, gibt Rupert Lanzenberger, Professor im Fachbereich Klinische Neurowissenschaften an der MedUni Wien, zu bedenken. Denn Depression sei eine sehr heterogene Erkrankung: „Es gibt verschiedene Subtypen oder – biologisch betrachtet – sogar unterschiedliche Erkrankungen. Auch der Schweregrad ist sehr unterschiedlich, und altersgruppenspezifische Typen spielen auch eine große Rolle.“

Bei vielen verschiedenen Formen von Depression sei Psychotherapie „wahrscheinlich ausreichend“, so Lanzenberger im Interview mit science.ORF.at. Klassische Antidepressiva wirken bei etwa einem Drittel der Fälle „ganz gut“. Oft brauche es aber eine Kombination der Therapien. Welche Therapie anzustreben sei, könne im Einzelfall nur der behandelnde Psychiater beurteilen. Abhängig von der Depressionsform beginne man aber normalerweise „nicht gleich mit den schwersten Geschützen“.

Entzündungsfaktoren werden unterdrückt

Die Änderung des Lebensstils sei jedenfalls sicher „ein wesentlicher Punkt“, so Lanzenberger. Denn Sport und Bewegung in einem bestimmten Ausmaß verändern den Stoffwechsel – und dadurch sinke die Wahrscheinlichkeit für neuroinflammatorische Prozesse. Diese wiederum spielen bei einem bestimmten Subtyp der Depression eine wesentliche Rolle.

„Diese Entzündungsfaktoren, die auch direkt im Gehirn ausgeschüttet werden, werden durch Sport teilweise in ihrer Wirksamkeit unterdrückt, verringert, unwahrscheinlicher gemacht.“ Und das könne therapeutisch eingesetzt werden, so der Klinische Neurowissenschaftler: „Bei jenen Subtypen der Depression, bei denen Neuroinflammation eine Rolle spielt, wird Sport wirken.“

Krafttraining wirkt anders als Yoga

Laut der Metaanalyse aus Australien ist Sport an vier bis fünf Tagen in der Woche optimal. Eine höhere Intensität der Trainingseinheiten war mit einer stärkeren Verringerung der Symptome verbunden. Die Wirkung nahm allerdings mit zunehmender Dauer der einzelnen Einheiten ab. Das könnte daran liegen, dass es für Menschen einfacher ist, kürzere Aktivitäten beizubehalten, vermutet das Forschungsteam.

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Jede Form der Bewegung ist laut Studie für die psychische Gesundheit nützlich

Ein weiteres Ergebnis der Studie: Alle Formen von Bewegung haben ihren Nutzen, allerdings zeigten sich je nach Sportart unterschiedliche Wirkweisen. So verringerte etwa Krafttraining die Symptome von Depressionen am stärksten, Trainingsformen wie Yoga und Pilates jene von Angstzuständen. Eine Erkenntnis, die medizinischem Fachpersonal dabei helfen könnte, die jeweils ideale Form der körperlichen Aktivität vorzuschlagen, so das Forschungsteam.

Ablehnung und Frustration

Gerade das Verschreiben von Sport- und Bewegungseinheiten könnte sich allerdings als Schwachstelle in der Therapie erweisen. Denn die Studienautorinnen und -autoren stellten auch fest, dass einige Patientengruppen die Verschreibung von körperlicher Aktivität ablehnen. Sie zeigten sich etwa frustriert darüber, dass ihnen gesagt wurde, sie sollten „einfach nur Sport betreiben“, um ihre psychische Gesundheit zu verbessern.

Sicherzustellen, dass Patientinnen und Patienten eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Verfügung steht, und sie in die Entscheidung der Therapieform einzubeziehen, sei „wahrscheinlich ein besserer Ansatz als einfach Psychopharmaka und Psychotherapien durch die Verschreibung von Yoga zu ersetzen“, so das Forschungsteam.

Motivation versus Antriebshemmung

„Das Problem ist oft die Motivation“, sagt Lanzenberger. Verschiedene Formen der Depression seien mit Anhedonie verbunden, der Unfähigkeit, Freude und Lust zu empfinden. „Normalerweise und von den meisten Menschen kann Sport als belohnend erlebt werden, und dann macht man natürlich sehr gerne Sport. Wenn Belohnungsreize aber nicht mehr entsprechend wahrgenommen werden können, dann ist die Motivation, hinauszugehen und Sport zu betreiben, deutlich reduziert.“

Ein großes Problem sei zudem die Antriebshemmung: „Viele Patientinnen und Patienten können Sport- und Bewegungstherapie nicht so wirklich annehmen – vor allem, wenn sie wirklich antriebsarm sind. Das gilt nicht nur für Sport, sondern für alle Tätigkeiten, die man vielleicht machen sollte.“

Bei schweren Formen der Depression reiche daher sicher nicht der Tipp: „Machen Sie bitte Sport!“ Erst müsse eine Grundlage geschaffen werden, um die Antriebshemmung deutlich zu reduzieren. Gerade deshalb sei bei schweren Fällen eine Kombinationstherapie empfehlenswert, so der Psychiater: Psychotherapie, pharmakologische Therapie und zusätzlich andere Maßnahmen wie Sport und Veränderungen in der Ernährung. „Sport verändert die Verdauung, Sport verändert auch das Mikrobiom. Die Zusammenhänge sind sehr vielfältig.“

Kaum Daten zu schweren Depressionen

Gerade die Frage, ob Sport auch bei schweren Depressionen wirkt, hat sich als Schwachstelle der Metaanalyse herausgestellt. Diese Frage konnte das australische Forschungsteam nicht beantworten, denn die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer der herangezogenen Studien litten unter leichten bis mittelschweren Depressionen. Patientinnen und Patienten mit schweren Depressionen fanden sich kaum – was auch auf die Motivation, an einer Studie teilzunehmen, zurückzuführen sein könnte.

Die Situation sei zudem „beispielsweise bei jungen Menschen anders, als wenn jemand im höheren Alter schwere Depressionen bekommt“, sagt Lanzenberger. Das große Problem von Metaanalysen sei oft, „dass meist nur bestimmte Subgruppen eingeschlossen und sehr viele Dinge zusammengeworfen werden, die klinisch und biologisch unterschiedlich zu bewerten sind“. Grundsätzlich seien Sport und Bewegung bei Depressionen aber sehr zu empfehlen: „Sport hat ja viele Auswirkungen, nicht nur auf den Stoffwechsel per se, sondern auch auf kognitive und emotionale Prozesse – also auch auf die Motivation.“