Max Horkheimer
Fondation Horst Tappe / Ullstein Bild / picturedesk.com
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Max Horkheimer

Gegen das „ganz Falsche“

In der verwalteten Welt der Industriegesellschaft und der Herrschaft des Kapitals hat er das „ganz Falsche“ gesehen: Zum heutigen 50. Todestag des Philosophen und Soziologen Max Horkheimer – der letzte Text unseres geschätzten Ö1-Kollegen Nikolaus Halmer, der vor Kurzem überraschend verstorben ist.

„Ich will nach meinem Wahrheitsdrang leben und erforschen, was ich wissen möchte, den Gequälten helfen und meinen Hass des Unrechts befriedigen.“ Max Horkheimer, der mit Theodor W. Adorno die Kritische Theorie der Frankfurter Schule gegründet hatte, verstand sich selbst als Vorkämpfer für die Benachteiligten der kapitalistischen Gesellschaft.

Hinweis

Dieser Text ist vor einigen Tagen in der Wochenzeitung „Die Furche“ erschienen.

Die verwaltete Welt der Industriegesellschaft ‒ so lautete sein Vorwurf ‒ war das „Grundübel des Jahrhunderts“, das „Ganz Falsche“, weil sie nämlich die Interessen und Wünsche der Individuen der Herrschaft des Kapitals opfere. Der Einzelne gerate unter das Joch des Produktivitätswahns, der zur Selbstentfremdung des Menschen beitrage und ihn schließlich zum willenlosen Sklaven degradiere.

Marxismus und Empirie

Seine Orientierung am Marxismus, der mit dem dogmatischen oder stalinistischen Marxismus wenig zu tun hatte, verknüpfte Horkheimer mit empirischen Forschungen. Er lehnte sowohl den Positivismus als bloße Feststellung von Tatsachen als auch den Idealismus ab. Der kritische Theoretiker warf dessen Vertretern – von Platon bis Johann Gottlieb Fichte – vor, in ihren metaphysischen Konzeptionen sowohl die konkrete Sinnlichkeit des Menschen als auch seine Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Produktionsbedingungen zu vernachlässigen. Horkheimer verstand seine Überlegungen als Reflexionen über „beschädigte Leben“ und gleichzeitig als leidenschaftliche Anklage gegen ein Gesellschaftssystem, das bereit ist, menschliches Glücksstreben auf dem Altar der Profitmaximierung zu opfern.

Lebenslange Verbundenheit mit Adorno

Max Horkheimer wurde am 14. Februar 1895 als Sohn einer wohlhabenden jüdischen Familie in Stuttgart geboren. Nach dem Abschluss einer Handelslehre arbeitete er in der Textilfabrik seines Vaters. Von 1919 bis 1922 studierte Horkheimer Psychologie und Philosophie in München und Frankfurt am Main. Er promovierte mit einer Arbeit über Kant; 1925 erfolgte die Habilitation über dessen Werk „Kritik der Urteilskraft“. Bereits 1922 lernte Horkheimer den um acht Jahre jüngeren Philosophen Theodor W. Adorno in einem Seminar der Universität Frankfurt kennen.

Soziologentagung in Heidelberg 1964: Horkheimer und Adorno im Vordergrund, dahinter fährt sich Jürgen Habermas durchs Haar
Soziologentagung in Heidelberg 1964: Horkheimer und Adorno im Vordergrund, hinten rechts Jürgen Habermas

Es war dies der Beginn einer lebenslangen Freundschaft und Zusammenarbeit, die ihren Höhepunkt in dem gemeinsam verfassten Buch „Dialektik der Aufklärung“ fand (Leseprobe). Durch Horkheimer kam Adorno in Berührung mit dem Institut für Sozialforschung, das 1923 von dem Millionärssohn Felix Weil gegründet wurde. Mitarbeiter waren der Psychoanalytiker Erich Fromm, Leo Löwenthal, Herbert Marcuse und Walter Benjamin. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde das Institut geschlossen.

Horkheimer emigrierte 1933 in die USA, wo es ihm dank seines Organisationstalentes gelang, finanzielle Mittel für die Weiterarbeit des Instituts an der Columbia University in New York zu erhalten. Danach übersiedelte er nach Los Angeles, wo er gemeinsam mit Adorno an dem Buch „Dialektik der Aufklärung“ arbeitete, das bald zum Kultbuch avancierte. Horkheimer kehrte 1950 nach Deutschland zurück und wurde zum Ordinarius für Sozialphilosophie an der Universität Frankfurt am Main ernannt. Ein Jahr später nahm er die Tätigkeit am wieder eröffneten Institut für Sozialforschung auf, wo er neben seinen philosophischen und soziologischen Schriften für den organisatorischen Bereich verantwortlich war.

Ambivalenz der Rationalität

In der 1947 erschienenen Studie „Dialektik der Aufklärung“ beschrieben Horkheimer und Adorno den ambivalenten Charakter der Rationalität: einerseits als emanzipatorisches Element, das zur Befreiung des Menschen aus der selbst geschaffenen Unmündigkeit beigetragen hat, andererseits als Mittel der Unterdrückung. Unterdrückt werden die Sinnlichkeit des Menschen, seine Emotionen und sein Triebpotenzial. Horkheimer konkretisierte in seiner Schrift „Über die instrumentelle Vernunft“ den Repressionscharakter der Rationalität: Sie sei der Versuch, optimale, rationale Lösungen für alle anstehenden Probleme zu finden und somit den Fortschritt voranzutreiben.

Gleichzeitig hatten die Vertreter der instrumentellen Vernunft das Ziel, durch eine genaue Analyse der Naturvorgänge die Menschen in die Lage zu versetzen, die Natur zu beherrschen und für ihre Zwecke zu nützen. Horkheimer kritisierte die von René Descartes vertretene These, dass die Natur „ein bloßes Werkzeug des Menschen“ sei und als Objekt totaler Ausbeutung diene. Das fanatische Streben der Aufklärung nach Fortschritt um jeden Preis entpuppe sich als Wahnsystem, dessen ökologische Folgen erst allmählich in das Bewusstsein der Menschen dringen würden.

Massenbetrug der Kulturindustrie

In einem zentralen Abschnitt der „Dialektik der Aufklärung“ nahmen Adorno und Horkheimer eine Kritik an der Kulturindustrie vor, die sie als Massenbetrug bezeichneten. Sie ist „nichts anderes als das Geschäft, das den Schund legitimieren soll“ und hat den Auftrag, dem Einzelnen eine heile Welt vorzugaukeln, die das Leiden der Menschheit ignoriert. In diesem künstlichen Paradies wird eine glitzernde Scheinwelt inszeniert, um den tiefsten Sinn der menschlichen Existenz zu verdeutlichen: Das Ziel ist nicht mehr, Bedürfnisse zu befriedigen, sondern neue Bedürfnisse zu wecken. Den Konsumenten wird suggeriert, dass das Amüsement das oberste Prinzip sei. Das goldene Kalb der Kulturindustrie ist der Amüsierbetrieb, der es versteht, die Menschen vom Grau des Alltags abzulenken und sie mittels raffinierter Strategien zu verzaubern.

Der deutsche Philosoph und Soziologe Max Horkheimer (l) bei der Verleihung der Ehrenbürgerurkunde der Stadt Frankfurt am Main durch den Bürgermeister Walter Leiske (r) am 14. Februar 1960 im Kaisersaal des historischen Römers.
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Max Horkheimer (li.) bei der Verleihung der Ehrenbürgerurkunde der Stadt Frankfurt am Main durch den Bürgermeister Walter Leiske am 14. Februar 1960.

Dieses Simulakrum erweist sich als Betrug. „Immerwährend betrügt die Kulturindustrie ihre Konsumenten um das, was sie immerwährend verspricht. Der Wechsel auf die Lust, den Handlung und Aufmachung ausstellen, wird endlos prolongiert“, heißt es in der „Dialektik der Aufklärung“. Die Konsumenten geraten in einen Circulus vitiosus. Ähnlich wie in Platons Höhle, in der die Bewohner fasziniert die Schattenbilder betrachten und dabei außer Acht lassen, dass eine Sphäre des Lichts existiert, leben die Adepten der Massenkultur in einer „eindimensionalen Welt“, in der der „universelle Verblendungszusammenhang“ vorherrscht, die Lebenswelt nivelliert oder sogar deformiert.

“Rest der bürgerlichen Gesellschaft“ verteidigen

In Horkheimers Spätphilosophie trat dieses pessimistische Grundmotiv in den Vordergrund und nahm resignative Züge an. Bis zu seinem Tod am 7. Juli 1973 orientierte sich Horkheimer an der illusionslosen Philosophie von Arthur Schopenhauer, dessen Analyse des katastrophalen Zustands der Welt ihn zutiefst beeindruckte.

Die Weltgeschichte zeigte für Horkheimer keine Tendenz zum Fortschritt oder zur Humanität. Er teilte auch nicht mehr die marxistische Doktrin, dass die proletarische Weltrevolution zu einer Verbesserung der menschlichen Lebensqualität beitrage. „Was es heute zu verteidigen gilt“, schrieb Horkheimer, „scheint mir ganz und gar nicht die Aufhebung der Philosophie in Revolution, sondern der Rest der bürgerlichen Zivilisation zu sein, in der der Gedanke individueller Freiheit und der richtigen Gesellschaft noch eine Stätte hat“.

Ergänzt wurde diese These durch eine „Theologie der Hoffnung“, die von „einer Sehnsucht nach dem ganz Anderen“ getragen wurde, von einer Sehnsucht, „dass es bei dem Unrecht, durch das die Welt gekennzeichnet ist, nicht bleiben soll, dass das Unrecht nicht das letzte Wort sein möge. Diese Sehnsucht gehört zum wirklich denkenden Menschen."